Die Bruderschaft des Feuers
Gabardino, einen Schimmer aufrichtiger Dankbarkeit in ihren Augen zu erkennen, vielleicht sogar mehr als das. Doch jetzt, während der Priester sich entfernte und auch Viviana Anstalten machte, zusammen mit ihren Nachbarn nach Hause zu gehen, war er sich dessen nicht mehr sicher.
Das Mädchen näherte sich, um sich von ihm zu verabschieden, und Gabardino begriff, dass nun der Moment gekommen war. Wenn er ihr jetzt nicht seine Frage stellte, würde sich keine weitere Gelegenheit bieten.
Er sagte sich noch einmal, dass er das nur tat, um ihr weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen, atmete dann tief durch und sagte: »Ich muss Euch kurz unter vier Augen sprechen.«
»Worum geht es?«, fragte sie mit einem strengen Blick ihrer blauen Augen.
»Ich bitte Euch, mir fällt es schon schwer genug.«
Viviana drehte sich um und bat die Nachbarn, einen Moment auf sie zu warten, dann traten sie beide etwas beiseite auf einen Streifen hart gewordenen Schlamms zwischen der Begrenzungsmauer und einem alten Grab mit einem namenlosen Kreuz.
»Sprecht nur«, forderte sie ihn auf.
Sie hielt fast zwei Schritte Abstand, und alles an ihrer Haltung vermittelte den Eindruck von Kälte. Gabardino versuchte sich einzureden, dass es an ihrer Trauer läge und an den Nachbarn, die sie aus den Augenwinkeln beobachteten.
»Mein Vater wünscht, dass ich Euch eine Frage stelle«, sagte er, und seine Stimme klang heiser vor Verlegenheit. »Erinnert Ihr Euch an die Knochen, die ich Euch neulich gezeigt habe?«
»Gewiss.«
»Nun, mein Vater sagt, dass mindestens die Hälfte davon verschwunden ist, und …«
»Und Ihr glaubt ihm.« Vivianas Augen blickten traurig, enttäuscht.
»Nein, ich glaube ihm nicht. Aber ich muss Euch fragen, ob Ihr etwas darüber wisst. Mein Vater …« Gabardino verhaspelte sich, als ihm bewusst wurde, wie lächerlich dieses ständige Wiederholen dieser beiden Worte »mein Vater« wirken musste.
»Und mein Vater?«, erwiderte das Mädchen mit vor unterdrückter Wut zitternder Stimme. »Ihr wolltet sein Begräbnis bezahlen, und ich danke Euch für diese großzügige Geste. Aber jetzt kommt Ihr und bezichtigt mich an seinem Grab eines Diebstahls, den ich nicht begangen habe.« Sie schüttelte den Kopf, als ob widersprüchliche Empfindungen sie überwältigten. »Ich hatte geglaubt, Ihr wärt anders.«
Darauf drehte sie ihm den Rücken zu, ging zu den wartenden Nachbarn und machte sich in ihrer Begleitung auf den Rückweg. Gabardino blieb wie versteinert an der Friedhofsmauer stehen. Das frisch aufgeschüttete Grab von Paolo il Tosco schien ihn daran gemahnen zu wollen, dass soeben auch Vivianas aufkeimende Zuneigung für ihn begraben worden war.
Um zur Dominikanerbasilika von San Nicolò delle Vigne zu gelangen, wandte sich Mondino zunächst nach Süden, dann nach Osten. Er wählte diesen Umweg, damit Pater Cherubinos Boten genug Zeit blieb, vor ihm einzutreffen, und um sich nach der Begegnung mit dem Podestà zu beruhigen.
Es war ein Fehler gewesen, zu Tolomei zu gehen und mit ihm zu sprechen, doch zumindest war ihm jetzt die Last der Verantwortung von den Schultern genommen, neben Gerardo der Einzige zu sein, der von der Gefahr wusste. Die Anzeige dafür, dass er Paolo il Tosco hatte sterben lassen, war ihm neu gewesen, aber da er Azzone kannte, hatte er sie gewissermaßen erwartet. Der Optimismus, der ihn noch vor wenigen Tagen erfüllt hatte, als er wegen der Schlägerei in der Schenke von Andrea da Viterbo so einfach freigesprochen worden war, hatte ihn verlassen. Jetzt wusste er, dass Azzone Lamberti drauf und dran war, mithilfe des Podestà sein Leben zu zerstören, da machte er sich keine Illusionen. Deswegen brauchte er erst gar nicht zu versuchen, dagegen etwas zu unternehmen. Er würde nur wertvolle Zeit vergeuden.
Am besten verwandte er seine ganze Kraft darauf herauszufinden, wer der Verrückte war, der auf so widernatürliche Art und Weise durch Feuer mordete, und damit den Untergang der ganzen Stadt zu verhindern. Nur das allein zählte noch für ihn, und zufällig war es auch das Einzige, das ihn retten konnte, falls er Erfolg hatte. Wenn er den Mörder fand, würde er auch entdecken, was aus Bertrandos Leichnam geworden war und somit die eigene Unschuld beweisen können. Sobald die erste Anklage sich als gegenstandslos erwies, würden die anderen an Gewicht verlieren.
Leider hatten sie, abgesehen von dem Haus, das Gerardo vom Turm der Asinelli aus entdeckt hatte, nur vage Vorstellungen
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