Die Bruderschaft des Feuers
Medizinschule vorbeigehen musste, um den Bogen auf die Mauer zwischen den Hörsälen aufzuzeichnen, der sie demnächst verbinden sollte. In Kürze würden die Maurer sämtliche Arbeiten bis zum Frühjahr einstellen, er musste sich also beeilen, wenn er zumindest diesen Teil noch vorher fertiggestellt haben wollte.
Das große Portal stand offen wie immer in der Adventszeit, um den Willen der Kirche zu bezeugen, die Gläubigen aufzunehmen. Mondino entblößte sein Haupt und trat misstrauisch ein, dann durchquerte er das rechte Kirchenschiff. Vor jeder Kapelle kam er an großen Kandelabern voller brennender Kerzen vorbei und erreichte schließlich den hölzernen Chor, der die sogenannte »äußere Kirche«, die für die Gläubigen bestimmt war, von der »inneren Kirche« trennte, die dem Klerus vorbehalten war.
Ein Mönch im weißen Habit und mit der schwarzen Kappa der Dominikaner stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Chor. Beim Geräusch seiner Schritte drehte er sich um, und Mondino fand sich einem ungefähr gleichaltrigen, recht beleibten Mann gegenüber. Seine Tonsur glänzte, und ein paar Strähnen seines schwarzen Haars fielen ihm in die Stirn. Er war eine freundliche Erscheinung, doch seine Augen blickten wachsam und durchdringend.
»Magister«, sagte er sofort und lächelte, was sein Doppelkinn noch betonte. »Pater Cherubino Cornari hat mir soeben Euren Besuch ankündigen lassen. Ich bin Marcello da Verona.«
»Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen«, erwiderte Mondino mit dem Barett in der Hand. Seine Stimme hallte durch die menschenleere Kirche.
Wieder lächelte der andere. »Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite. Ich wünsche mir schon lange, Euch persönlich kennenzulernen.«
»Wohl wegen meiner Streitigkeiten mit Eurem Vorgänger, nehme ich an«, sagte der Arzt.
»Natürlich, ich würde liebend gern Eure Version der Ereignisse des zurückliegenden Frühjahrs hören. Doch das ist nicht der eigentliche Grund. Ich interessiere mich für die Naturwissenschaften, und obwohl mein Gebiet die Physik ist, kenne und bewundere ich Eure anatomischen Studien.«
Mondino reagierte eher misstrauisch als geschmeichelt. »Das überrascht mich.«
Pater Marcello schien das zu amüsieren. Das Lächeln in seinem rundlichen Gesicht wurde immer breiter. »Warum denn? Ich hätte Verständnis für Eure Überraschung, wenn das Lob Eurer Werke von einem Benediktiner oder einem Franziskaner käme. Aber der Dominikanerorden steht Neuerungen sowohl auf dem Gebiet der Wissenschaft als auch auf dem des Glaubens wahrscheinlich am aufgeschlossensten gegenüber.«
»Meint Ihr?« Mondino wusste nicht, wie er auf diese überfreundliche Haltung reagieren sollte.
»Ganz bestimmt. Das beweist doch allein die Tatsache, dass wir mit dem Schwert die Thesen von Thomas von Aquin verteidigt haben, obwohl sowohl der Bischof von Paris als auch der Erzbischof von Canterbury sie verurteilt hatten.«
»Weil Thomas von Aquin einer der Euren war«, entgegnete Mondino, der sich nicht zurückhalten konnte.
Ein Schatten glitt über die dunklen Augen des Priesters und trübte den freundlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. »Ich verstehe, dass Ihr uns gegenüber verbittert seid«, sagte er und lächelte nun nicht mehr. »Aber bitte glaubt nur nicht, dass alle Dominikaner so sind wie Pater Uberto da Rimini.«
Er hatte recht. Mondino war hier, um ihn um einen Gefallen zu bitten, und doch verdrehte er ihm jedes seiner Worte im Mund. Sein cholerischer Charakter war manchmal eine große Last.
»Verzeiht mir, Vater«, sagte der Arzt und senkte den Kopf. »Die vis polemica wird noch mein Untergang sein, wie mein Onkel Liuzzo zu sagen pflegt.«
Pater Marcello hob die Hände, in einer Geste so alt wie die Welt, um seine friedlichen Absichten zu bekunden. »Ich nehme Eure Entschuldigung an. Jetzt sagt mir doch, weshalb wolltet Ihr mich sehen? In der Botschaft, die Pater Cherubino mir zukommen ließ, hat er nichts über den Grund Eures Besuchs verlauten lassen.«
Mondino schilderte ihm nun in knappen Worten alles, was er wusste, und der Dominikaner nickte mehrmals. »Interessant. Ich wähnte mich eigentlich wohlunterrichtet über den Tod von Bertrando Lamberti und Giovanni da San Gimignano, doch ich wusste rein gar nichts von der Tätowierung oder von dieser Geschichte mit der manus guidonis , die er sich in sein lebendiges Fleisch eingeritzt hat. Niemand hat mir davon erzählt. Darf ich die Zeichnung einmal sehen?«
Der Arzt nahm sie aus
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