Die Bruderschaft des Feuers
geschehen könnte, wenn Menschen die Noten entdeckten, die einem bestimmten Element entsprechen.«
»Sie könnten es beherrschen«, sagte Mondino. Allmählich begriff er, worauf der Mönch hinauswollte. »Wenn man die Reihe von Tönen wiedergibt, die für das Feuer typisch ist, könnte man es aus seiner Sphäre auf die Erde rufen. Ist es das, was Ihr sagen wollt?«
»Ganz genau.«
»Dann kennt Eurer Meinung nach also der Mann, den wir suchen, diese Klänge und bedient sich ihrer für seine Zwecke.«
»Ja. Er ist ein Mörder und ein Ketzer der schlimmsten Sorte, nicht nur weil er einer heidnischen Religion anhängt, sondern weil er sich Kräfte anmaßt, die nur dazu dienen, seinen Stolz zu nähren und ihm die Illusion zu verschaffen, gottgleich zu sein.« Er sah Mondino eindringlich an, und dieser spürte die ganze Unnachgiebigkeit der Inquisition in diesem Blick. »Ihm muss Einhalt geboten werden.«
»Ich bin ganz Eurer Meinung, aber wie?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass meine Theorie die Botschaft des Mönchs aus dem Salzmagazin noch bedeutsamer macht.«
»Es ist also kein Zufall, dass der Mörder ein Sänger ist, wollt Ihr damit sagen.«
»Ganz recht. Ich weiß nicht, wie er dieses Geheimnis entdeckt hat, das seit undenkbaren Zeiten für verloren gilt, aber ich halte es kaum für möglich, dass ihn ein Mensch diesen Gesang gelehrt hat.«
»Ihr meint also, er hat es von einem alten Manuskript erlernt?«
»Das erscheint mir am plausibelsten. Inzwischen kann ein Klang anhand schriftlicher Zeichen dargestellt werden, durch die Neumen der ersten gregorianischen Handschriften oder die moderne Notation auf fünf Linien, die im letzten Jahrhundert von Guido von Arezzo erfunden wurde. Aber um aus jedem Zeichen einen Ton oder eine Tonfolge erzeugen zu können, muss man Musik studiert haben. Ein Laie wäre niemals dazu imstande.«
»Also haben wir die Gewissheit, dass der Mörder ein Sänger ist«, sagte Mondino, »aber über seine Identität wissen wir genauso viel wie vorher. Was mich zu dem Hauptgrund meines Besuches bringt.«
»Ich verstehe«, sagte der Inquisitor, und seine Miene verfinsterte sich wieder. »Ihr wollt eigentlich nur eins von mir erfahren, und zwar, ob in letzter Zeit jemand aus dem Vatikan nach Bologna gekommen ist, der den gesuchten Vorgaben entspricht.«
»So ist es keineswegs, Vater. Ich wollte damit nicht sagen …«
»Lasst es gut sein. Meine Aufgabe ist nicht, wissenschaftliche Erklärungen für die Ketzerei zu finden, sondern die Ketzer zu finden und auszumerzen. Ganz gleich, ob es Heiden oder Christen, Philosophen oder Wissenschaftler sind. Wenn Ihr mich in dieser Funktion wollt, könnt Ihr das haben.«
Mondino war nicht klar, ob das eine Drohung gegen ihn war, doch auf jeden Fall klang der Inquisitor verändert. Und da begriff er, dass er ihn beleidigt hatte. Als er vom »Hauptgrund des Besuches« gesprochen hatte, wirkte das so, als wäre die ganze physikalische Erläuterung des Dominikaners vollkommen unwichtig.
»Eure Theorie erscheint mir plausibel und wohldurchdacht«, sagte er in einem ungeschickten Versuch, die Dinge wieder gerade zu richten. »Aber die Zeit drängt, und so gilt es nun mal zuerst herauszufinden, wer dieser Mann ist, um ihm Einhalt zu gebieten.«
»Leider kann ich Euch in dieser Hinsicht nicht weiterhelfen«, erwiderte Pater Marcello. »Mir wurde das Amt des Inquisitors zwar erst vor einigen Monaten anvertraut, aber ich lebe seit sechs Jahren in Bologna, und wenn ein Gesangsmeister von außerhalb hier eingetroffen wäre, ganz gleich ob in unserer Basilika oder in irgendeiner anderen Kirche der Stadt, dann hätte ich davon erfahren.«
»Ihr habt gesagt ›ein Gesangsmeister‹. Wenn es sich nun aber gar nicht um einen Meister handelte?«
Der Dominikaner zuckte mit den Achseln. »Dann stehen wir vor dem umgekehrten Problem. Alle Mönche studieren Gesang, und wie Ihr vielleicht wisst, reisen wir häufig. Die Zahl der Geistlichen, die nach Rom aufbrechen und von dort eintreffen, ist sehr hoch.«
Mondino nahm die Information mit zusammengepressten Lippen zur Kenntnis. Marcello da Verona hatte soeben bestätigt, was er selbst mit anderen Worten zu Pater Cherubino gesagt hatte. Es gab sehr viele Sänger, und Giovanni da San Gimignano als Mönch musste das wissen. Wenn er den Hinweis auf den Gesang gegeben hatte, um seinen Mörder zu bezeichnen, dann konnte man davon ausgehen, dass es sich um jemanden handelte, der leicht zu erkennen
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