Die Bruderschaft des Feuers
den Schultern. »Jetzt wissen wir mehr. Ich möchte ihm ein paar genauere Fragen stellen.«
Ein Doktorand betrat das Podium. Während der Rektor ihm den Hut zum Zeichen seiner Doktorwürde auf den Kopf setzte und die lateinische Formel sprach, die mit den Worten » Desiderio desideravi te corona doctorea « begann, unterrichtete Gerardo Mondino in wenigen Worten über das, was er am Vortag unternommen hatte. Und er hatte keine guten Nachrichten.
»Was heißt, ihr konntet das Haus von unten nicht finden? War die Berechnung nicht unfehlbar?«
»Der Irrtum lag bei Abdul, Magister. Er muss sich irgendwo verrechnet haben, und so sind wir stundenlang im Viertel des Märtyrerkreuzes herumgeirrt und hatten bald die Orientierung verloren. Doch nun zu Euch, was habt Ihr herausgefunden?«
»Dass unser Mörder ein Meister des Gesangs ist, der aus Rom hierhergekommen ist.«
»Im Ernst? Das ist ein großer Schritt nach vorn. Erzählt mir bitte alles.«
In der Reihe vor ihnen drehte sich ein Arzt um und starrte sie an, weil ihn das ständige Flüstern störte. Er war genau wie Mondino gekleidet, roter Talar und schwarzer Mantel. Nur die Kopfbedeckung in seiner Hand war anders geschnitten. Mondino lächelte ihn entschuldigend an, doch als der andere sah, wer der Störenfried war, warf er ihm nur einen eisigen Blick zu.
»Ihr seid bei Euren Kollegen nicht gerade beliebt«, bemerkte Gerardo. »Ihr überschattet sie wohl zu sehr mit Eurem Ruhm.«
»Lass das, das ist jetzt nicht der passende Moment für Schmeicheleien«, antwortete Mondino ungeduldig. »Bald werde ich dafür berühmt sein, dass man mich exemplarisch schwer bestraft hat.«
»Gebt die Hoffnung nicht auf. Ich bin mir sicher, dass uns der heutige Tag entscheidend weiterbringen wird. Abdul hat versprochen, seinen Meister um Hilfe zu bitten, um das Haus ausfindig zu machen.«
»Den Blinden?«, fragte Mondino ungläubig.
Gerardo nickte. »Unterschätzt ihn nicht. Michele da Castenaso weiß viel mehr, als er sagt. Aber erläutert mir doch, wie Ihr auf Rom und den Gesangsmeister gekommen seid.«
Mondino erzählte es ihm, und der junge Mann hörte aufmerksam zu. Inzwischen verließ der zum Doktor geweihte Student das Podium und mischte sich unter die anderen, die vor ihm an der Reihe gewesen waren. Nun warteten alle darauf, gemeinsam ernst und feierlich mit dem roten Talar, dem Doktorhut auf dem Kopf und dem Ring am Finger die Basilika durch das Hauptportal zu verlassen, um dann endlich zu ihren Freunden zu stoßen und mit ihnen zu feiern.
Der nächste war Odofredo. Mondino versuchte, ihm ein ermutigendes Lächeln zuzuwerfen, doch der junge Deutsche schien seinem Blick absichtlich auszuweichen. Wahrscheinlich war er beleidigt, weil Mondino neben der Tür saß und nicht bei ihm. Dieses feierliche Ritual stellte die Krönung der für Student und Lehrmeister gleichermaßen anstrengenden Jahre dar und sollte von beiden geteilt werden.
Mondino senkte bedauernd den Kopf und schwor sich, einen Weg zu finden, ihm sein Lob auszusprechen, ehe er sich unter seine Freunde mischte. Odofredo war trotz seines ungezügelten Temperaments der beste Student gewesen, den er seit Jahren gehabt hatte.
»Die Theorie des Inquisitors ist interessant«, sagte Gerardo leise. »Selbstverständlich wisst Ihr, dass Marcello da Verona einer der ersten Verdächtigen sein könnte, wenn das zutreffen sollte.«
Der Arzt vor ihnen drehte sich erneut empört zu ihnen um, aber diesmal starrten sie ihn beide schweigend an, bis er den Blick abwandte.
»Machst du Scherze?«, flüsterte Mondino.
»Keineswegs. Pater Marcello ist erst seit wenigen Monaten Inquisitor. Davor war er der Kantor der Basilika.«
Mondino erinnerte sich an die Kraft und die Schönheit der Stimme des Mönches, als er das Magnificat angestimmt hatte. »Davon hat er mir gar nichts gesagt«, erwiderte er. »Aber ich nehme an …«
»Das ist noch nicht alles«, unterbrach ihn Gerardo. »Ich weiß das, weil er mehrmals zum Prior des Waisenhauses gekommen ist. Einmal wollte er mich kennenlernen, natürlich wegen der Eisenherzmorde, und wir haben uns ein wenig unterhalten.«
»Ja und?«
»Unter anderem hat er mir erzählt, dass er in Rom studiert hat. Und von dort ist er vor sechs Jahren nach Bologna gekommen.«
Mondino war sprachlos. Es war eine Sache, rein theoretisch darüber nachzudenken, dass der ketzerische Mörder, den sie suchten, ein Mann der Kirche Christi war, der sich dort wie der Wolf im Schafspelz verbarg, und
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