Die Bruderschaft des Feuers
etwas ganz anderes, den neuen Dominikanerinquisitor ganz konkret zu verdächtigen. Und selbst wenn das stimmte, würde ihm niemand Glauben schenken. Stattdessen würde zu den vielen Anklagen, die über seinem Haupt schwebten, noch eine weitere wegen Verleumdung hinzukommen.
»Und wenn er nicht der Mörder ist, wer könnte es sonst sein?«, fragte er wenig hoffnungsvoll.
Gerardo zuckte mit den Achseln. »Ihr habt gesagt, dass Azzone im Viertel des Märtyrerkreuzes lebt?«
Mondino begriff sofort, worauf er abzielte. »Es würde mir gefallen, wenn er das Oberhaupt der Sekte wäre«, sagte er. »Sogar sehr. Doch leider bist du auf dem falschen Weg. Azzone ist stark, grausam und gefährlich, aber er ist zu dumm, um ein Anführer zu sein.«
»Es ist aber ein netter Zufall, dass das Haus mit dem Weingarten auf der Dachterrasse im gleichen Viertel liegt, wo Azzone wohnt. Hinzu kommt, dass man den ersten Toten, der bei lebendigem Leib verbrannt wurde, ausgerechnet in seinem Haus gefunden hat.«
Mondino nickte. »Das heißt nur, dass wir noch völlig im Dunkeln tappen. Übrigens, ich habe den Podestà und den Capitano del Popolo von der Gefahr eines Brandes unterrichtet, aber keiner der beiden hat mich ernst genommen.«
Auf dem Podium überreichte der Rektor Odofredo das Buch, das den Besitz des Wissens symbolisierte, zunächst geschlossen, dann aufgeschlagen, um anzuzeigen, dass dieses Wissen kundgetan wurde.
In dem Moment tauchte neben Mondino das bleiche Gesicht mit dem kräftigen Kinn des Capitano del Popolo auf, der allein, ganz ohne Sbirren im Gefolge, gekommen war. Er flüsterte ihm zu: »Kommt bitte sofort mit. Man hat noch eine Leiche gefunden, die auf die gleiche Weise verbrannt ist wie die beiden vorherigen.«
Mondino drehte sich um und folgte ihm wortlos aus der Kirche.
Samuele beobachtete, wie Visdomini mit dem Arzt hinausging. Unmittelbar danach verließ Gerardo da Castelbretone seinen Platz und lief ihnen hinterher. Was war geschehen? Wohin gingen sie?
Seit er den jungen Mann in der Kirche erblickt hatte, hatte er fiebernd überlegt, wie er sich ihm wohl nach der Zeremonie möglichst unauffällig nähern könnte, um ihn zu fragen, ob er etwas über Venanzios Tod herausgefunden hatte. Er wollte ihm auch von dem alten Brief erzählen, den er dem Capitano del Popolo übergeben hatte. Der römische Legionär, der ihn geschrieben hatte, sprach von einem Geheimnis des Feuers, und es schien ihm keinesfalls ein Zufall zu sein, dass kurz nach dem Auftauchen dieses Schriftstücks der Mönch im Salzmagazin auf mysteriöse Weise lebendig verbrannt war. Anscheinend war ein alter Seidenhändler auf dieselbe Weise ums Leben gekommen, aber von dem wurde weniger gesprochen, deshalb wusste er es nicht genau.
Sicher war er sich allerdings, dass dieser Brief wichtig sein konnte, um Venanzios Mörder zu finden. Und er wollte wissen, was der Capitano del Popolo diesbezüglich unternommen hatte.
Seit seiner Unterredung mit Gerardo da Castelbretone hatte er das Kloster nicht mehr verlassen können, weil man ihn wegen seines unerlaubten Entfernens bestraft hatte, und so hatte er nichts mehr hinsichtlich des Mordes an Venanzio erfahren.
Und jetzt waren die einzigen drei Personen, die eine Antwort auf seine brennenden Fragen haben konnten, fortgegangen. Samuele wusste nur zu gut, dass ihn eine wesentlich härtere Strafe erwartete, wenn er sich erneut unerlaubt entfernte, aber ehe er darüber nachdenken konnte und vielleicht den Mut verlöre, hatte er schon mit seiner Täuschungslist begonnen.
Er riss die Augen auf, beugte sich vor und presste sich die Hände vor den Leib, um sie sofort wieder fortzunehmen, als ob er üble Schmerzen litte, aber kein unschickliches Schauspiel bieten wollte. Ohne jemanden anzusehen, flüsterte er mit zusammengepressten Zähnen: »Ich muss hinaus.«
Er wich einen Schritt zurück, und seine beiden Nachbarn zur Rechten und zur Linken rückten zusammen, um den leeren Platz auszufüllen. Samuele glitt bereits zwischen den größeren Mönchen hindurch zur inneren Tür, die direkt ins Kloster führte.
Er hatte die Hände wieder auf den Bauch gepresst, und niemand stellte ihm Fragen. Wahrscheinlich glaubten alle, dass er nicht so dumm sein könnte, zweimal dieselbe Entschuldigung zu benutzen, und daher seine Magenkrämpfe diesmal echt sein müssten. Während er, ohne anzuhalten, an der Latrine vorbeieilte, den Friedhof überquerte und mit bis zum Knie geschürzter Kutte über die Mauer kletterte,
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