Die Bruderschaft des Feuers
Basilika San Francesco in Begleitung von Visdomini verlassen hatte, und nun war der Capitano del Popolo tot. Es konnte durchaus ein geschickter Schachzug von ihm sein, der öffentlichen Ordnung zuvorzukommen und sich aus freiem Antrieb zu stellen. Doch genauso gut konnte es auch ein schwerwiegender Fehler sein.
In dem Bewusstsein, dass er seine Freiheit oder sogar sein Leben in diesem unsicheren Spiel verlieren könnte, ergriff Mondino seinen Mantel und trat hinaus auf die windgepeitschte Straße.
Es fiel noch immer kein Schnee, aber bald würde es so weit sein. Die tief über den Dächern der Stadt hängenden weißlichen Wolken kündeten einen Schneesturm an. Als Gerardo auf der Baustelle eintraf, bot sich ihm ein ganz anderer Anblick als beim letzten Mal. Die Arbeit ruhte, und die Maurer standen trotz des Windes regungslos da. Sie starrten alle auf einen bestimmten Punkt auf halber Höhe, der von seiner Position noch nicht einzusehen war.
Diese Stille an dem sonst so lauten und geschäftigen Ort mutete seltsam an. Als der junge Mann um die Ecke des Turms bog, bot sich ihm unvermutet ein schlimmer Anblick. An dem Seil, das den Karren mit den Baumaterialien in den ersten Stock schaffte, baumelte auf halber Höhe ein Mann mit rötlichen Haaren, heraushängender Zunge und hervorgequollenen Augen, dem ein Strick den Hals abschnürte. Aus der zerrissenen Hose tropfte etwas Urin. Der Unfall hatte sich wohl gerade erst ereignet. Den Männern, die den Karren entladen sollten, musste der Strick entglitten sein, sodass er gegen die Rolle geprallt war, und einer von ihnen hatte sich im Seil verfangen, das sich dann plötzlich gespannt hatte. Er musste beinahe auf der Stelle tot gewesen sein.
Ein Arbeiter riss sich aus der ungläubigen Starre, packte eine kleine Zimmermannsaxt und näherte sich dem Seil in der offenkundigen Absicht, es zu durchtrennen. Doch der riesige Mann, den Gerardo das letzte Mal um Auskünfte gebeten hatte, gebot ihm Einhalt.
»Für ihn können wir nichts mehr tun, und Seil ist teuer«, sagte der Riese düster. Er schrie einem der Arbeiter im ersten Stock etwas zu, und daraufhin schnitt der Mann den Knoten durch, mit dem das Seil am Holzkarren befestigt war, während ein anderer diesen festhielt, damit er nicht hinunterrutschte.
Sobald der Strick nicht mehr gespannt war, fiel der Leichnam mit einem dumpfen Aufprall zu Boden. Die Arbeiter versammelten sich sofort schweigend um ihn, während ein einziger von ihnen, ein sommersprossiger Junge, dessen Haare von der gleichen Farbe waren wie die des Toten, mit zusammengekniffenen Augen weinte. Das musste sein Sohn sein.
»Sucht Ihr jemanden, Messere?«, fragte ihn der Riese an der Winde.
Gerardo wandte sich ihm zu. »Ich suche Michele da Castenaso oder seinen Gehilfen Abdul.«
»Meister Michele findet Ihr im Versammlungshaus der Zunft«, erhielt er zur Antwort. »Er kommt nicht jeden Tag hierher. Was Messer Abdul angeht, der hat sich heute Morgen noch nicht blicken lassen.«
Im gleichen Augenblick sah Gerardo den jungen Sarazenen um die Ecke biegen und eilig auf sie zulaufen. Die Maurer bemerkten ihn ebenfalls, und zwei von ihnen gingen ihm entgegen. Als er am Turm angelangt war, wusste er bereits über alles Bescheid. Tatkräftig nahm er die Situation in die Hand, ließ Sand von einem Karren abladen und stattdessen eine violette Decke darin ausbreiten, die man sich von einer Familie aus einem der umstehenden Häuser ausgeliehen hatte. Darauf ließ er den Toten betten und gab Befehl, die Baustelle zu schließen, wobei er betonte, dass man vom Auftraggeber trotzdem für alle den ganzen Tageslohn verlangen würde. Dann sollten sie gemeinsam den Toten nach Hause begleiten und der Witwe die traurige Nachricht überbringen.
Während die Männer ihre Werkzeuge einsammelten, ging Abdul zu Gerardo. »Euch habe ich schon gesucht«, sagte er mit Blick auf die Arbeiter. »Meister Michele hat den Fehler in meinen Berechnungen verbessert, und ich habe das richtige Haus gefunden.«
»Ausgezeichnet. Wann könnt Ihr mich dorthin führen?«
»Nicht vor morgen.«
»Was? Aber es ist doch hier in der Nähe, wir brauchen doch hin und zurück nicht mehr als …«
»Heute wird der ganze Tag von den Begräbnisvorbereitungen für diesen armen Mann und der Unterstützung für seine Familie in Anspruch genommen werden«, sagte Abdul in leicht gestelztem Tonfall.
»Es könnte aber auch recht wichtig sein, die Stadt davor zu bewahren, von Flammen verschlungen zu werden«,
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