Die Bruderschaft des Feuers
Mondino. »Wie erklärt Ihr Euch sonst, dass ich wusste, wo der Papyrus verborgen war? Visdomini hätte seinem Mörder bestimmt kein solches Geheimnis anvertraut.«
»Wer kann das wissen? Er lag im Sterben und wollte die Stadt retten. Wenn sich nun niemand in der Nähe befand als sein Mörder, was hätte er sonst tun sollen? Übrigens befreit ihn genau das von dem Vorwurf, dieser Sekte von Mithrasanbetern anzugehören. Wenn er mit ihren Plänen einverstanden war, hätte er Euch gegenüber wohl kaum etwas davon erwähnt, meint Ihr nicht auch?«
Mondino hätte dem Podestà am liebsten eine Ohrfeige versetzt, damit ihm das schlaue Grinsen verging, das sich auf seinem feisten Gesicht breitgemacht hatte. Gerardo hatte recht, hierherzukommen war ein Fehler gewesen. Jetzt musste er jedes einzelne Wort gut abwägen, um das Schlimmste zu verhüten.
Ehe ihm Zeit für eine Antwort blieb, erschien an der Tür des Arbeitszimmers ein weißhaariger Diener, der sich verneigte und den Podestà respektvoll fragte, ob er ihn kurz sprechen dürfe. Taverna Tolomei ging mit ihm hinaus, und als er wiederkam, zog er ein finsteres Gesicht.
»In meinem Arbeitszimmer steht ein Bote des Inquisitors«, sagte er. »Er ist gekommen, um uns davon in Kenntnis zu setzen, dass die Kirche Euch ebenfalls anklagt. Allmählich habt Ihr ein wenig zu viel zu erklären, Messer de’ Liuzzi.«
»Noch eine Anklage? Und was wird mir vorgeworfen?«, fragte Mondino. Doch im Grunde seines Herzens wusste er es bereits.
»Das Kochen von menschlichen Knochen, was eine offene Missachtung der päpstlichen Bulle ist«, sagte Taverna Tolomei dann auch tatsächlich. »Die Inquisition sollte man nicht warten lassen. Gehen wir also und hören, was sie uns mitzuteilen hat, danach werden wir unsere Unterhaltung fortsetzen.«
»Aber wir dürfen keine Zeit vergeuden!«, protestierte Mondino. »Bologna wird von einer noch nie dagewesenen Katastrophe bedroht, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten …«
»Das sagt Ihr«, entgegnete Taverna, während er den Papyrus zusammenrollte und das Zimmer verließ. »Doch es gibt keine Beweise. Wie im Übrigen auch für nichts sonst, was Ihr bislang gesagt habt.«
Mondino folgte ihm in den Gang, während der Hauptmann sich an seine Fersen heftete, für den Fall, dass er versuchen würde, durch die Flure des Palastes zu fliehen. Die Lage wurde langsam widersinnig.
»Darf ich wenigstens erfahren, aufgrund welcher Beweise diese Frau mich beschuldigt, menschliche Knochen auszukochen?«, fragte er mit zusammengepressten Zähnen.
»Frau?«, gab der Podestà zurück und sah ihn über die Schulter an. »Einer Eurer Studenten hat Euch dessen bezichtigt. Anscheinend haben Eure Methoden seinen Glauben ins Wanken gebracht. Und was die Beweise angeht, scheint er die fraglichen Knochen mitgebracht zu haben.«
Als Gerardo völlig außer Atem die Piazza Maggiore erreichte, war es kurz nach Mittag, aber der Himmel wirkte so dunkel, als wäre es schon Abend. In der Via San Vitale hatte er nur Mondinos Diener Pietro und die zwei jüngeren Söhne des Arztes angetroffen, die gerade auf dem von einem fuchsbraunen Pferd gezogenen Karren zum Landgut der Familie am Savena aufbrachen. Pietro hatte ihn über die Lage aufgeklärt, aber er hatte ihm nicht sagen können, wo Mondino sich aufhielt. Gerardo war also in die Medizinschule gelaufen, doch diese war geschlossen. Daher hatte er der Wahrheit ins Auge sehen müssen: Der Arzt hatte nach seinem eigenen Kopf gehandelt und alles dem Podestà erzählt.
In der Hoffnung, ihn noch aufhalten zu können, lief er zu dessen Palazzo. Die Schlange der Bittsteller öffnete sich schweigend, um ihn durchzulassen, und so stand er gleich den Wachen in voller Kriegsrüstung gegenüber. Er fragte sie, ob sie Mondino de’ Liuzzi hätten hineingehen sehen, aber keiner schien ihn zu kennen. Als er einen neuerlichen Versuch wagte und fragte, ob sie einen Arzt hätten passieren lassen, bejahten sie das. Er bat, zum Podestà vorgelassen zu werden, doch das wurde ihm verweigert.
Mittlerweile hatte er jede Hoffnung verloren, dass er Mondino noch aufhalten könnte. Dann konnte er genauso gut offen reden. Er erklärte also, im Besitz von wichtigen Hinweisen bezüglich des Todes von Messer Visdomini zu sein, doch der Wachposten antwortete ihm spöttisch: »Der Trick funktioniert nicht zwei Mal. Den hat schon Euer Freund benutzt. Wenn Ihr wirklich über Nachrichten verfügt, dann gebt sie an unseren Kommandanten weiter.«
Gerardo
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