Die Bruderschaft des Feuers
Wahrheit sprach. Er wusste zwar, dass der junge Mann log, weil sie sich gerade abgesprochen hatten, aber ihm wurde abermals klar, dass Gerardo wirklich nicht mehr der naive Jüngling von früher war.
»Nein! Ihr seid keine Mörder!«, schrie Fedrigo. »Das werdet ihr nicht tun!«
Mondino packte ihn an den Füßen und machte sich bereit, ihn hochzuheben. »Ihr seid ein Ketzer, der Kopf einer heidnischen Sekte, die die Zerstörung Bolognas plant. Jeder Beichtvater wird uns die Absolution erteilen.«
»Ich bin nicht der Anführer! Das bin ich nicht!«
»Nein? Der Tempel befindet sich in Eurem Haus.«
»Keiner hat je sein Gesicht gesehen«, sagte Fedrigo hastig. »Er bedeckt sein Gesicht mit einer grauen Kapuze. Wir rufen ihn Pater.«
»Falls das alles ist, was Ihr wisst, ist es zu wenig, um Eure Haut zu retten«, erwiderte Gerardo.
Fedrigo schien mit sich zu ringen. »In diesem Tempel«, sagte er dann, »gibt es eine geheime Krypta. Dort werdet Ihr die Antworten finden, die Ihr sucht. Aber wenn Ihr wollt, dass ich Euch dorthin führe, müsst Ihr mich losbinden.«
Mondino ließ seine Beine los, die mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden schlugen. »Sollte das ein Trick sein, bezahlt Ihr es mit Eurem Leben.«
Wortlos schnitt Gerardo die Seile durch, mit denen der Anwalt an Hand- und Fußgelenken gefesselt war. Fedrigo stand auf und massierte sich die schmerzenden Gelenke. »Hier befinden wir uns in einem heiligen Raum«, erklärte er. »Er ist leer, weil er für den Augenblick steht, in dem der Adept als ersten Initiationsschritt der Welt entsagt.«
»Das interessiert mich nicht«, sagte Gerardo. »Ich will bloß den Namen des Anführers wissen und wie wir ihn aufhalten können, ehe die gesamte Stadt in Flammen steht.«
»Dann folgt mir«, sagte Fedrigo. Er ging zu der Fackel an der Wand, nahm sie in eine Hand und drückte mit der anderen die Eisenhalterung nieder. Ein Stück Mauer drehte sich um die eigene Achse und gab eine Öffnung frei, die groß genug war, dass eine Person kniend hindurchpasste. »Die Pforte der Eingeweihten ist eng und mühsam«, dozierte Fedrigo. »Wenn der Adept der Welt abschwört, könnte er meinen, er hätte schon das Meiste hinter sich. Doch jetzt beginnen die Mühen erst.«
»Erspart mir bitte Eure Glaubensgrundsätze«, knurrte Gerardo. Dann fragte er Mondino: »Wer geht als Erster?«
»Du«, erwiderte der Arzt. »Dann kommt er, mit der Fackel in der Hand, damit wir ihn gut sehen können. Ich folge als Letzter. Bei der geringsten merkwürdigen Bewegung stoß ihm dein Schwert ins Bein.«
»Sorgt euch nicht, ihr habt nichts zu befürchten«, versicherte Fedrigo. Er wartete, bis Gerardo auf der anderen Seite war, ging dann gebückt hinterher und stand danach sofort wieder auf. Die Fackel beleuchtete eine Treppe, die in die Dunkelheit hinabführte. Von unten hörte man das leise Plätschern eines Brunnens.
Als Mondino sie ebenfalls erreicht hatte, stiegen sie hinab. Die Decke erhob sich eine knappe Handbreit über ihren Köpfen, und die Treppe war so schmal, dass sie nur hintereinander gehen konnten.
»Der Eingeweihte nimmt diesen Weg mit verbundenen Augen«, fuhr Fedrigo fort. »Das steht zum Zeichen für …«
»Hört damit auf, habe ich gesagt«, fuhr ihn Gerardo deutlich gereizt an.
Mondino ahnte, dass ihm dieser Weg die Treppe hinunter gar nicht behagte, und er konnte ihn nur zu gut verstehen. Die Dunkelheit, die Kälte, das Gefühl, geradewegs in die Eingeweide der Erde hinabzusteigen, all das trug bestimmt nicht dazu bei, dass man sich sicher fühlte.
»Ich wollte euch nur erklären, dass wir lernen, uns im Dunkeln zu bewegen, um am Ende des Weges das Licht in all seinem Glanz zu preisen.«
Neben der Treppe gab es eine kleine Quelle, deren Plätschern sie bereits oben vernommen hatten und die sich in eine kleine steinerne Schale von der Form eines Weihwasserbeckens ergoss. Die in die Wand gemeißelten Symbole erinnerten jedoch in keiner Weise an Christus und die christliche Lehre. Als Gerardo hinaufsah, um sie besser betrachten zu können, warf Fedrigo die Fackel ins Wasser und sprang vor.
»Er entkommt!«, schrie Gerardo und machte sich an die Verfolgung.
Zischend erstarb die Flamme. Der beißende Talggestank in dem engen Gang raubte ihnen den Atem. Während Mondino nach der Fackel tastete, hörte er etwas Merkwürdiges. Beziehungsweise er hörte kein Geräusch.
»Gerardo, bleib stehen!«, rief er. »Das ist eine Falle!«
Plötzlich war alles still in den
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