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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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wollte.
    Er war nie an Orten wie diesen gewesen, und das, was er darüber gehört hatte, beunruhigte ihn jetzt, wo er sie betreten würde.
    Man erzählte sich eine Menge über diese Gegend: Hier sollten Hexen wohnen, die eine solche Macht auf die Seele eines Mannes ausüben konnten, dass er nie mehr nach Hause zurückkehren würde. Hier fand man leicht durch eine Schlägerei oder einen Raubüberfall den Tod. Ein junger, hübscher Mann musste hier nicht nur die Schmeicheleien der Frauen fürchten, sondern viel Schlimmeres vonseiten anderer Männer.
    Davor ängstigte sich Samuele am meisten.
    Sogar die Mönche, die manchmal im Flüsterton über diese Dinge redeten, waren überzeugt, dass jeder Sodomit davon träumte, in einer dunklen Ecke von einer Gruppe Männer überfallen und ihrem Willen unterworfen zu werden.
    Samuele schauderte allein schon bei dem Gedanken an Vergewaltigung. Für ihn war dieses Schreckliche, das als Sodomie bezeichnet wurde, diese Todsünde ohne Hoffnung auf Erlösung, nur als Akt der Liebe vorstellbar. Er hatte jahrelang mit seinen widernatürlichen Instinkten gerungen, war Mönch geworden, um die Kraft zu finden, ihnen besser widerstehen zu können, und hatte ihnen erst nachgegeben, als er Venanzio begegnet war, dem Mann, dessen bloßer Anblick ihn zu Tränen rührte.
    Der Gedanke an Venanzio setzte seinem Zaudern ein Ende.
    Seinetwegen war er hier. Er hatte Venanzio gesagt, dass er es wert war, für ihn in der Hölle zu brennen, da konnte er jetzt nicht vor dieser banalen weltlichen Gefahr zurückweichen.
    Als die Glocken der Basilika San Francesco zur Non läuteten, atmete Samuele tief durch, richtete sich auf und lief die Straße entlang, immer schön in der Mitte und in gesichertem Abstand zu den Frauen an den Türen.
    Er eilte über den getrockneten Schlamm der Straße, als liefe er über Wasser, taub für die derben Witze und Rufe, drehte sich jedes Mal weg, wenn er das Rascheln eines Frauengewands vernahm. An einigen Stellen war die Straße so schmal, dass der Atem der Frauen sein Gesicht streifte, wenn sie ihn zum Hereinkommen aufforderten. Zum Glück war der Arbeitstag gerade vorüber, und die Straße begann sich mit Scharen von Männern zu bevölkern, von denen einige ziemlich laut, andere eher verstohlen hier entlangliefen und die Aufmerksamkeit der Dirnen von ihm ablenkten.
    Der Capitano del Popolo hatte ihm die Stelle beschrieben, an der man Venanzios Leiche gefunden hatte. Eine enge Gasse, die von einem Platz abzweigte und zum angrenzenden Viertel San Felice führte. War die Straße im Pratelloviertel schon nur spärlich beleuchtet gewesen, so lag die betreffende Gasse in völliger Dunkelheit. Nur ein schwaches Licht, etwa auf der Hälfte des Weges, zeugte davon, dass dort Menschen waren.
    Und auf dieses Licht ging Samuele zu, als wäre es das einzig mögliche Ziel.
    »Zwei Denare«, raunte plötzlich eine kehlige Frauenstimme viel zu nah an seinem Ohr.
    Samuele wich ruckartig zurück und landete mit einem Fuß in einem Abfallhaufen auf der anderen Seite der Gasse. Ekelerregender Gestank stieg auf, doch das kümmerte ihn nicht. Er starrte suchend in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und in dem Halbdunkel, das von einer über der Tür hängenden Öllampe kaum erhellt wurde, machte er Bekanntschaft mit etwas, das er nie im Leben hätte sehen wollen. Vor ihm stand eine hochgewachsene junge Frau mit einem üppigen blonden Zopf, roten Lippen und einem vorn geöffneten Umhang. Bevor Samuele den Blick abwenden konnte, sah er zum ersten Mal in seinem Leben eine nackte Frau. Volle Brüste, weiße Schenkel, ein flacher Bauch und darunter ein Dreieck heller Haare.
    »Ich bin nicht interessiert«, sagte er brüsk, als er seine Beherrschung wiedergefunden hatte, und wandte sich ab. »Aber wenn du meine Fragen beantwortest, gebe ich dir …«
    »Zwei Denare«, wiederholte die Frau.
    »So viel habe ich nicht.«
    »Zwei Denare.«
    Anscheinend war das das Einzige, was sie sagen konnte. Samuele zwang sich dazu, sie genauer zu betrachten. Weiße Haut, von der Kälte gerötete Wangen und Haare so hell wie reifer Weizen. Er stellte fest, dass sie aus der Fremde kommen musste. Aus Deutschland oder Skandinavien. Und vielleicht konnte sie im italienischen volgare nur ihren Preis nennen und sonst nichts.
    Er sah sich um, während die Frau ihren Umhang aus grober Wolle schloss. Hier war kaum noch etwas von dem lauten Treiben aus dem Pratelloviertel zu hören, und die Via San Felice schien

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