Die Bruderschaft des Feuers
unwohl dabei, mit dem stummen Bruder allein zu bleiben, dachte Gerardo. »Ich muss jemanden treffen«, erklärte er. »Danach komme ich zurück und warte hier auf Euch vor diesem Stand, ist Euch das recht?«
»Bleibt bitte nicht zu lange weg«, antwortete sie. »Ich muss vor dem Mittagsläuten wieder zu Hause sein.«
»Sorgt Euch nicht.«
Gerardo winkte Masino zum Abschied zu, der jedoch nur Augen für seine Schwester hatte, dann machte er sich auf den Weg zur Via delle Pescherie, der Straße der Fischhändler.
In der kalten Jahreszeit stank es nicht so schlimm wie im Sommer, dennoch stieg ihm der üble Geruch schon lange, bevor er in die Straße einbog, in die Nase. Glücklicherweise lag das Gebäude der Maurerzunft gleich am Anfang der Via delle Pescherie.
Er durchquerte das über sieben Fuß hohe Portal, über dem das Wappen der Zunft auf die Mauer gemalt war: eine Maurerkelle und ein silberner Hammer auf rotem Grund und darüber drei goldene Lilien. Im weitläufigen Hof verschränkte er die Hände zu dem Erkennungszeichen, das ihn Michele da Castenaso gelehrt hatte, ohne sich dabei an jemand Bestimmten zu wenden. Ein Baumeister löste sich aus einer Gruppe von Steinmetzen und Laubhauern, mit denen er sich unterhielt, und fragte ihn nach seinem Begehren. Gerardo antwortete ihm, und der Mann wies ihm, ohne weitere Fragen zu stellen, eine Holztreppe und eine Tür im ersten Stock, aus der im selben Moment ein Mann mit einem schweren Umhang heraustrat, der sich vor ein Fenster setzte, als wäre dies sein Beobachtungsposten.
Gerardo stieg die Treppe bis zur Empore in dem Gebäudeteil hinauf, das den Mitgliedern der Zunft vorbehalten war. Niemand hielt ihn an oder fragte ihn, was er hier wollte, und der Mann vor dem Fenster wandte sich nicht einmal um, als er an die Tür klopfte.
Jede Zunft hatte ihre eigene Methode, um ihre Geheimnisse zu schützen, und die der Maurer bestand darin, sich so zu verhalten, als hätte die Zunft nichts zu verbergen.
Doch natürlich traf dies nicht zu, wie Gerardo in der Osteria della Pellegrina festgestellt hatte. Die Geheimhaltung und der Gemeinschaftssinn der Maurer wurden nur nicht so zur Schau gestellt.
Wenn man zum Beispiel diesen hellen und von einem großen Glutbecken erwärmten Raum betrat, wo Abdul damit beschäftigt war, Dreiecke mit Lineal und Winkeldreieck auf ein großes Stück Hadernpapier zu zeichnen, während ein alter weißhaariger Mann in einem speckig glänzenden schwarzen Gewand am Fenster saß und in den grauen Himmel zu starren schien, hätte man gedacht, der Sarazene sei der Hüter der Zunftgeheimnisse.
Stattdessen war es umgekehrt.
Gerardo näherte sich dem Fenster, durch das eine mit Feuchtigkeit gesättigte Luft hereindrang, und blieb hinter dem alten Mann stehen. »Meister Michele«, begrüßte er ihn mit einem Kopfneigen. »Abdul.«
»Messer Gerardo. Setzt Euch doch bitte. Wir erwarten noch jemanden.«
»Wen?«
»Einen Mann, der etwas über die Sache wissen kann, die Euch interessiert. Er hätte schon längst hier sein müssen, aber er arbeitet auf einer Baustelle in San Lazzaro, und vielleicht hat ihn etwas aufgehalten.«
»Oder er ist irgendwo eingekehrt, um etwas zu trinken«, warf Abdul ein. »Wenn Ihr zugelassen hättet, dass ich ihn abhole …«
»Deine Aufgabe ist es, den Flaschenzug für die Lasten zu diesem Bogen zu bestimmen«, sagte Michele, ohne ihm sein Gesicht zuzuwenden. »Arbeite daran und lass dich nicht ablenken.«
»Wie Ihr wünscht, Meister«, erwiderte der Sarazene und senkte den schwarzgelockten Kopf wieder über das Blatt.
»Nur Geduld«, sagte Michele zu Gerardo. »Es kann nicht mehr lange dauern.«
»Es ist nur so, dass ich in Kürze eine Verabredung habe«, sagte Gerardo. Er wollte Clara nicht in Schwierigkeiten bringen. Es fehlte noch, dass sie seinetwegen bestraft würde. »Vielleicht könnte ich ja später wiederkommen.«
»Dieser Mann hat seinen Arbeitsplatz verlassen und auf einen halben Tageslohn verzichtet, um hierherzukommen und Euch zu erzählen, was er weiß«, unterbrach ihn Abdul verärgert. »Da könnt Ihr zumindest auf ihn warten.« Er errötete sofort, als er bemerkte, dass er gegen Michele da Castenasos Befehl, sich nicht ablenken zu lassen, verstoßen hatte.
»Vergesst, was Abdul gesagt hat«, sagte Michele mit seiner metallischen Stimme. »Ihr habt natürlich das Recht zu handeln, wie es Euch beliebt. Ich werde mich an Eurer Stelle bei dem Maurer entschuldigen, den ich rufen ließ.«
Etwas an
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