Die Bruderschaft des Feuers
Morgen aufgehört zu regnen, und hinter den dicken grauen Wolken wagte sich ab und zu ein Sonnenstrahl hervor. Auch die Luft war milder geworden. Die Leute auf der Straße sagten, dass diese plötzliche Temperaturveränderung einen schlimmen Schneeeinbruch ankündigte, einen von jenen, die die Stadt tagelang unter einer dichten weißen Schneedecke verhüllen würden.
Doch jetzt genoss er erst einmal das angenehme Gefühl, spazieren gehen zu können, ohne ständig unter den Bogengängen Schutz suchen zu müssen. Gerardo sog die frische Luft ein und fühlte sich quicklebendig. Er hätte sich sogar seine Cotte ausgezogen, wenn er sie dann nicht in der Hand hätte tragen müssen. Masino trug unter der Kutte aus grobem Hanfstoff ein Hemd, Unterhosen und ein Paar Sandalen, das Gerardo vor Kurzem für ihn hatte anfertigen lassen. Der Rotz lief ihm aus der Nase, und ständig kratzte er sich mit der freien Hand den geschorenen Schädel.
Sie warteten auf Clara, und Gerardo hätte nicht sagen können, wer von ihnen beiden aufgeregter war.
Am frühen Morgen hatte sie eine Frau zur Pforte des Waisenhauses geschickt, um beim Bruder Pförtner die Nachricht zu hinterlassen, dass sie später auf dem Seidenmarkt einkaufen würde und dort gern ihren Bruder treffen würde. Sie hatte Gerardo nicht erwähnt, aber es war ziemlich offensichtlich, dass der kleine Junge nicht allein zu der Verabredung kommen konnte.
Gerardo wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie war nur eine Dienstmagd, doch auch Masinos Schwester. Am liebsten hätte er den Standesunterschied zwischen ihnen unbeachtet gelassen, aber es gab ihn nun mal, und es war sinnlos, so zu tun, als sähe man ihn nicht.
Deshalb hatte er sich überlegt, ihr Masino einfach zu übergeben, dann Michele da Castenaso aufzusuchen und mit ihm zu reden und den Jungen später wieder abzuholen. Doch zunächst musste Clara auch kommen. Masino würde schrecklich unglücklich sein, wenn sie aus irgendeinem Grund nicht erscheinen würde.
»Seide gefällt dir, oder?«, fragte er ihn, als er sah, wie der Junge wie verzaubert vor dem Stand eines Tuchhändlers stehen blieb, der leichte, bunte Gewebe in Rot, Grün, Gelb und Indigoblau feilbot.
Der Junge nickte, ohne den Blick von den Seidenstoffen hinter dem Verkaufstisch zu lösen, dicken, aufrecht gelagerten Ballen in dunklen Farben. Seine Aufmerksamkeit galt einem dunkelroten Gewebe, das immer wieder anders zu schillern schien, wenn das Licht darauf traf, je nachdem, wie der Händler sich stellte, um einen Kunden zu bedienen.
Gerardo wollte weitergehen und nach Clara suchen, aber er hatte nicht das Herz, den Jungen sofort von dort fortzureißen. Die junge Frau würde ja auch nach ihnen Ausschau halten, so würden sie einander sicher finden.
Masino war ein sehr empfindsamer Junge, der bei dem geringsten Anlass weinte, und manchmal blieb er stehen und starrte verzaubert Dinge an, die eigentlich mehr ein Mädchen als einen Jungen ansprachen. Doch trotz dieser Angewohnheit und obwohl er kein Wort sprach, hatten die anderen Kinder im Waisenhaus Respekt vor ihm gelernt, als er sich eines Tages gegen einen der Gewalttätigsten von ihnen gewehrt hatte, ihn zu Boden geworfen und auf ihn eingeschlagen und eingetreten hatte, bis ein Mönch hinzukam und sie trennte.
Gerardo war zu dem Schluss gekommen, dass Masino die Seele eines Künstlers hatte, und förderte sein Interesse für Farben. Er überlegte sogar, ihn in die Werkstatt eines Malers zu schicken, sobald er alt genug dafür sein würde.
Masino wandte den Blick von den Seidenstoffen ab und schaute aufmerksam zur anderen Seite, als wüssten seine Augen schon, wo sie suchen mussten. Kurz darauf zog er Gerardo am Ärmel und zeigte auf die schlanke Gestalt seiner Schwester, die an einem Stand vorüberlief. Masino ließ Gerardos Hand los und rannte ihr entgegen, um sie zu umarmen. Clara hob ihn hoch, küsste ihn auf das Gesicht und die raspelkurzen Haare, und erst als sie ihn wieder abgesetzt hatte, wandte sie sich an Gerardo.
»Vielen Dank, dass Ihr ihn mir gebracht habt«, sagte sie lächelnd.
»Nichts zu danken«, erwiderte Gerardo ernst. »Leider kann ich nicht bleiben. Wenn Ihr Einkäufe für Eure Herrschaften erledigen müsst, nehmt Masino doch mit. Ich habe etwas in der Via delle Pescherie zu erledigen, danach komme ich wieder hierher und nehme ihn mit.«
»Ich dachte, Ihr würdet mit uns gehen«, sagte sie mit einem Anflug von Enttäuschung.
Bestimmt fühlte sie sich
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