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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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in die Flanke rammte. Aus der Leiche des Opferstiers, so besagte die Lehre, waren alle für den Menschen nützlichen Pflanzen hervorgegangen. Aus seinem Mark war das Korn entstanden, aus seinem Blut die Weinrebe. Ahriman, der Gott des Bösen, hatte vergebens zu verhindern versucht, dass diese Verwandlung sich vollzog. Der Stier war zum Mond aufgestiegen, und dadurch waren alle Tierarten entstanden. Die Erinnerung an diesen Sieg wurde von den Gläubigen durch das »Agape« genannte rituelle Mahl gefeiert. Auch dies, so sagte der Pater, hätten die Christen mit ihrer Legende vom letzten Abendmahl und dem heiligen Sakrament der Kommunion kopiert.
    Visdomini wusste, dass es für das Bild auch eine ein wenig esoterischere Auslegung gab, die ihm erst enthüllt werden würde, wenn er die nächste Initiationsstufe erreichte. Vielleicht suchte der Pater in jenen verborgenen Bedeutungen einen Rat zu erhalten?
    Der Mann mit der Kapuze drehte sich abrupt herum, und bei der raschen Bewegung seines grauen Gewandes flackerte die Kerzenflamme.
    »Im Moment hat Mondino andere Sorgen, aber das wird nicht lange andauern. Du musst dafür sorgen, dass er uns nicht länger im Weg ist.«
    »Ich hätte ihn ja schon von den Untersuchungen ausgeschlossen, aber der Podestà hat ihm eine Woche gegeben, um …«
    »Es geht nicht darum, ihn auszuschließen, sondern ihn zu beseitigen.«
    Visdomini holte tief Luft, bevor er antwortete. »Pater«, sagte er dann ernst. »Das ist gefährlich. Mondino ist kein gewöhnlicher Bürger, sein Tod wird Staub aufwirbeln, und man wird eingehende Ermittlungen fordern. Wenn ich mich zu weit vorwage, besteht Gefahr, dass man mich entdeckt.«
    Der Mann mit der Kapuze warf ihm wieder diesen Blick zu, genau wie vorhin. »Du kannst dir zur Unterstützung zwei oder drei vertrauenswürdige Männer unter unseren Mitbrüdern auswählen. Es sollte nicht allzu schwierig sein, Mondino in eine Falle zu locken, ihn zu töten und jede Spur zu verwischen, die zu dir führen könnte.«
    »Nein, aber …«
    »Sei nicht allzu besorgt. Bis zur Großen Läuterung sind es nur noch zehn Tage. Nach dem Brand wird nichts mehr Bedeutung haben.«
    »Sicher, das verstehe ich.«
    »Denk du nur daran, deine Pflicht zu erfüllen und mir den Brief zurückzuholen. Den Rest überlass Gott.«
    Visdomini begriff, dass ihr Gespräch damit beendet war. Er verabschiedete sich respektvoll und verließ den Tempel durch eine Geheimtür, die in den Keller eines dreistöckigen Gebäudes führte. Er stieg die Treppe bis zum Erdgeschoss hinauf und trat hinaus auf einen Innenhof voller Brennholz, das zum Schutz vor den Unbilden des Wetters entlang den Hauswänden unter den Vordächern aufgestapelt war. Dort öffnete er eigenhändig das Eingangstor und fand sich kurz darauf auf der Straße wieder.
    Erst da fiel ihm ein, wo er den Blick schon einmal gesehen hatte, mit dem ihn der Pater betrachtet hatte. Bei Begräbnissen, in den Augen derjenigen, die den engsten Verwandten des Toten ihr Beileid aussprachen.
    Ein Blick voller Trauer. In einem Moment der Klarheit, den er vielleicht der kalten Dezemberluft verdankte, begriff der Capitano del Popolo schlagartig alles: Der Pater sorgte sich nicht darum, dass er entdeckt werden könnte, da er ihn im gleichen Augenblick, in dem er ihm den Brief brachte, der ihm so viel bedeutete, töten würde. Er konnte nicht riskieren, dass Visdomini seinen Inhalt anderen Gläubigen enthüllte, und würde nicht auf sein Wort vertrauen, er habe ihn nicht gelesen. Dieses Risiko war zu groß. Hätte man erfahren, dass der Pater nicht der war, der er vorgab zu sein, würde die Gemeinschaft auseinanderbrechen wie trockene Erde, und Verrat würde um sich greifen. Dieser Blick bedeutete, dass es ihm leidtat, ihn umbringen zu müssen, weil er ihn auf seine Art vielleicht schätzte, aber dass er keine andere Wahl hatte.
    Während er von der Nordseite her am beeindruckenden Palazzo della Biada vorbeilief, wurde Visdomini klar, dass er sich in ziemliche Schwierigkeiten gebracht hatte. Er musste einen berühmten Arzt töten, wofür er vielleicht gehängt würde. Außerdem musste er noch den Mönch aus dem Weg schaffen. Die Gefahr, dass er redete oder der Pater auf anderem Wege von ihm erführe, war zu hoch. Visdomini konnte nur hoffen, dass es ihm gelingen würde, ihm das Geständnis abzuringen, wer jetzt den Anhänger besaß. Hielte er den erst einmal in Händen, würde er den Pater vielleicht auch davon überzeugen können, dass sein Brief

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