Die Bruderschaft des Feuers
inzwischen für immer verloren war. Und dann würde er ihn wirklich verbrennen.
Was er jetzt vorhatte, widersprach sowohl seinem neuen als auch dem alten Glauben und all seinen moralischen Prinzipien: Er sollte zwei Unschuldige töten.
Zu deren Pech sah sein erfahrener Soldatenverstand keinen anderen Ausweg.
Gabardino empfand eine instinktive Abneigung für Azzone und Fedrigo und richtete deshalb nur insgesamt fünf Worte an sie: »Folgt mir bitte«, nachdem Mondino ihm aufgetragen hatte, sie zu begleiten, und »Auf Wiedersehen«, als er sie an der Tür zur Straße hinausließ. Er sah ihnen nach, wie sie wieder den Weg zur Seidenmanufaktur einschlugen, wo sie vielleicht ihre Pferde zurückgelassen hatten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Leute wie sie, besonders dieser Geck in den zweifarbigen Beinkleidern, sich zu Fuß vorwärtsbewegten.
Auf dem Weg zurück ins Haus kam er an der Küche vorbei, in der Lorenzas Tochter allein auf dem Boden spielte, und betrat genau rechtzeitig das große Zimmer, um zu sehen, wie sein Vater dem Verletzten endlich das in Wasser aufgelöste Opium zu trinken gab, das er ihm gebracht hatte, während der rothaarige Student mit einem Chirurgenmesser einen unregelmäßigen Streifen Leder zurechtschnitt. Danach folgte ein Schauspiel, das in seiner Genauigkeit wie ein Ballett wirkte. Die beiden Studenten stellten sich zu beiden Seiten des Tisches auf, während Mondino an dessen Ende hinter den Kopf des Patienten trat. Auf seinen Befehl hin hoben die beiden den Mann vorsichtig an den Schultern an, und Mondino ergriff ihn am Hals und tastete ihn ab, um den genauen Punkt zu finden, an dem er gebrochen war. Er drehte ihn erst nach rechts, dann nach links, was dem Mann einen dumpfen Schmerzensschrei entlockte, dann umwanden die beiden Studenten auf seinen Wink hin den gebrochenen Hals mit dem Streifen aus hartem Leder und banden ihn mit Leinenstreifen fest. Schließlich beugten sich alle drei über den Patienten, und Gabardino sah nur noch die Rückseite ihrer Tuniken und ihre zusammengesteckten Köpfe.
In solchen Momenten schien Mondino ganz er selbst zu sein, der Mann, den alle bewunderten. Während er das Ganze verfolgte, musste Gabardino gegen seinen Willen anerkennen, dass man nur in staunende Bewunderung verfallen konnte. Über Mondinos Charakter und die Art, wie er sich um die Familie kümmerte, konnte man sagen, was man wollte, aber fest stand, dass sein Vater die Chirurgie zu einer Kunstform erhoben hatte und sie so der Herrschaft der Barbiere und der Zahnreißer entrissen hatte.
Während er noch unschlüssig schwankte zwischen dem instinktiven Bedürfnis, sich zu nähern, und der Angst, zurückgewiesen zu werden, hörte er aus dem oberen Stockwerk ein unverwechselbares Geräusch und wandte ruckartig den Kopf nach oben. Knarrende Bodenbalken. Jemand war in seinem Zimmer.
Das konnten weder Pietro noch Lorenza sein, die er gerade eben, als er zurück ins Haus ging, im Stall gesehen hatte. Plötzlich fiel ihm auf, dass dieses Mädchen, die Tochter des verletzten Zimmermanns, nirgendwo zu sehen war. Sie musste es sein.
Neugierig darauf geworden, was zum Teufel sie im oberen Stockwerk zu suchen hatte, nahm Gabardino auf dem Weg nach oben immer zwei Stufen auf einmal, riss die Tür zu dem großen Schlafzimmer auf, das eigentlich dem Hausherrn gehören sollte, und dort war sie, den Körper zur Tür gedreht, als wollte sie gerade verschwinden.
»Was habt Ihr hier zu suchen?«, fragte er sie scharf. »Dies ist mein Zimmer.«
»Verzeiht mir«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Ich wollte mich nur aus dem Raum entfernen, in dem mein Vater operiert wird, und dann fand ich mich plötzlich hier. Ich bitte Euch um Verzeihung und werde sofort in die Küche zurückkehren.«
Wie sie so wie gelähmt in der Mitte des Raumes stand, mit den schwarzen Haaren, die über die schneeweiße Haut des Gesichts fielen, und mit diesen schreckgeweiteten blauen Augen, wirkte sie noch schutzloser. Sie trug immer noch ihr Hausgewand, in dem sie wohl sofort losgeeilt war, als sie von dem Unfall ihres Vaters erfahren hatte. Gabardino begriff, dass sie vollkommen aufgelöst und verwirrt sein musste. Ihr Vater konnte sterben, und weitere Verwandte gab es nicht, die die Last des Schmerzes mit ihr teilen konnten. Hinzu kam die Sorge, was aus ihr werden sollte, wenn sie als Waise zurückblieb. Er konnte ihr bestimmt nicht vorwerfen, dass sie ziellos durch das Haus gestreift war.
»Kommt«,
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