Die Bruderschaft des Feuers
sagte er und bot ihr eine Hand, die sie ergriff wie einen Anker im Sturm. »Ich zeige Euch unser Haus. Vielleicht könnt Ihr Euch so etwas ablenken, während unten die Operation ihrem Ende zugeht.«
Vivianas Lächeln war traurig, aber voller Dankbarkeit, und das war schon mehr, als er sich erwartet hätte. Doch das, was sie danach sagte, ging ihm zu Herzen.
»Ich danke Euch, Messere. Ihr scheint ganz anders als Euer Vater zu sein.«
Seit er nach Hause gekommen war und diesen Mann auf dem Tisch des großen Zimmers vorgefunden hatte, waren viele Stunden vergangen, aber erst nachdem Lorenza leise in den Raum gekommen war und die Öllampen und die Kerzen angezündet hatte, wurde Mondino bewusst, dass es Abend geworden war.
Der Zustand des Zimmermanns wurde weder besser noch schlechter. Er sagte nichts und öffnete auch nicht die Augen, trotzdem schien er nicht vollkommen bewusstlos zu sein. Als sie versucht hatten, ihm eine dünne Gemüsesuppe einzuflößen, um den Körper bei Kräften zu halten, hatte er stöhnend versucht, sich zu wehren und vor Schmerz den Mund verzogen. Um ihm gegen seinen Willen Nahrung einzuflößen, ohne dabei den Bruch wieder zu verschieben, hatten sie ihn zu dritt festhalten müssen, während die Tochter ihn mit der Suppe fütterte.
Viviana war einige Male in dem Raum erschienen und hatte gefragt, ob sie helfen könnte, aber in Wirklichkeit behinderte sie die Arbeiten, weil sie ständig in Tränen ausbrach und dadurch seine beiden Studenten ablenkte, die sich darin überboten, sie zu trösten. Mondino wunderte sich nicht über Odofredos galante Bemühungen, der sich vieler Erfolge bei den Frauen Bolognas rühmen konnte, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Doch die unbeholfenen Annäherungsversuche von Andolfo, der mit seiner Tonsur und auch mit seinem sonstigen Verhalten wie ein Mönch wirkte, entlockten ihm ein Lächeln. Es freute ihn, dass er schließlich doch einen menschlichen Zug an diesem strengen Iren entdeckt hatte.
Schließlich hatte Mondino jedoch Gabardino beiseitenehmen und ihn bitten müssen, das Mädchen irgendwohin zu bringen. In den Garten, auf den Altan hoch oben auf dem Haus, wohin auch immer, nur weg aus dem Raum, in dem ihr Vater lag. Er hatte erwartet, dass sein Sohn wie üblich aufbegehren würde, doch Gabardino hatte sich keineswegs über die Aufgabe beschwert, die in seinen Augen eigentlich höchst unwichtig erscheinen musste.
Inzwischen atmete Paolo il Tosco ein wenig regelmäßiger, doch Mondino machte sich keine falschen Hoffnungen. Dies war kein dauerhafter Zustand. An dieser Stelle musste sich die Wissenschaft geschlagen geben. Sie hatten den Hals mit dem Lederkragen fixiert und so den Bruch gerichtet, sie hatten dem Patienten etwas Nahrung eingeflößt, und die Letzte Ölung hatte er ja bereits kurz nach seinem Unfall erhalten. Jetzt konnten sie nur noch abwarten.
Als die Glocken der Kirche der Heiligen Vitale und Agricola in Arena zur Vesper läuteten, wurde Mondino bewusst, dass sie alle drei seit Stunden nichts gegessen hatten. Er bewunderte den Opferwillen seiner Studenten, die die Möglichkeit einer Erholungspause nicht einmal erwähnt hatten. Vielleicht würden sie doch noch gute Ärzte werden.
»Geht in die Küche«, sagte er zu ihnen, »und lasst euch von Lorenza etwas zu essen machen.«
»Wir können diesen Mann nicht allein lassen«, sagte Andolfo. »Gott könnte ihn jeden Augenblick zu sich rufen, und dann sollte besser jemand bei ihm sein, um ihm die Hand zu halten und ein Gebet zu sprechen. Der Übergang ins Jenseits gestaltet sich oft schwierig.«
Nicht die Worte, sondern der mitfühlende Ton erstaunten Mondino. Er starrte Andolfo an, und der junge Mann errötete. »Ich weiß, dass es falsch ist, sich in die Qualen des Patienten hineinzuversetzen, Magister«, sagte er und schlug die Augen nieder. »Doch ich habe miterlebt, wie kurz hintereinander mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und meine Schwester durch ein heimtückisches Fieber hinweggerafft wurden, und …«
»Keine Sorge, ich verstehe dich sehr gut«, erwiderte Mondino. »Ein Arzt, der mit jedem seiner Patienten mitleidet, wird nicht sehr lange leben, deshalb wird empfohlen, dass man sich nicht von seinen Gefühlen leiten lassen soll. Aber das muss jeder für sich und ganz allmählich lernen, ohne Zwang. Jetzt geht aber etwas essen, ich bleibe hier bei dem Mann.«
»Magister, auch Ihr müsst etwas zu Euch nehmen«, mischte sich Odofredo ein. »Ihr seid blass und Eure
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