Die Bruderschaft des Feuers
an, das wisst Ihr bereits«, erwiderte Andolfo. »Mir ist allerdings unbegreiflich, was sie in diesem Zusammenhang bedeuten sollen. Ich sehe sie zum ersten Mal in einer Guidonischen Hand. Üblicherweise wird in der Mitte der Handfläche das fünfzeilige Notensystem abgebildet.«
Mondino nickte. Schon möglich, dass der Mönch im Angesicht des Todes versucht hatte, mit dem Monogramm des Erlösers das Böse abzuwehren, das im Begriff stand, ihn zu töten. Dennoch gewann für ihn der Umstand immer mehr an Bedeutung, dass vor beiden Morden eine Art Gesang zu hören war, wenn auch eine Zeichnung existierte, die, soweit er verstanden hatte, dazu diente, Musik zu erlernen.
Dennoch entschied er sich, für den Augenblick nicht weiter zu fragen. Er würde später in aller Ruhe darüber nachdenken.
»Vielen Dank, Andolfo. Welch erfreuliche Überraschung zu entdecken, dass du ein guter Sänger bist«, sagte er. »Aber jetzt kehren wir wieder zu unserem Unterricht zurück. Wir haben noch einiges vor und können diesen armen Mann dort unten nicht allzu lang allein lassen. Erkläre mir daher jetzt ganz genau, wann ein Patient als lebend bezeichnet werden kann und wann dagegen der Moment gekommen ist, ihn für tot zu erklären.«
Der Student neigte den Kopf, um seine Gedanken zu sammeln, und wandte dabei den anderen seine glänzende Tonsur zu. Als er zu reden begann, bemerkte Mondino, dass er ihm gar nicht zuhörte. Stattdessen musste er an den Mönch im Salzmagazin und an Bertrando Lamberti denken. Wie war das Leben aus ihnen gewichen, während dieses mysteriöse Feuer sie von innen verbrannte? Und was hatte das mit Musik zu tun? Seit er sich damit beschäftigte, war dieses Rätsel nur noch geheimnisvoller geworden.
Er konnte nur hoffen, dass Gerardo inzwischen etwas erreicht hatte.
Gerardo da Castelbretone war müde, und seine Füße waren, obwohl durch Stiefel geschützt, eiskalt. Es war töricht gewesen anzunehmen, er wäre in der Lage, Masino unter den vielen Tausend Einwohnern Bolognas zu finden, aber er konnte doch nicht tatenlos dasitzen und die Hände in den Schoß legen, während der Junge vielleicht in Gefahr war. Er hatte ihn schon an allen Orten gesucht, die ihm in den Sinn gekommen waren. Der letzte war die Bova gewesen, wohin sie einmal zusammen einen Ausflug gemacht hatten, doch auch dort fand er ihn nicht. Und jetzt war es Zeit für seine Verabredung mit Abdul. Als er die circla , die provisorische Stadtmauer aus Holz, wieder durchschritten hatte, suchte Gerardo den kleinen Platz in der Nähe der Porta Lame, wohin der Sarazene ihn bestellt hatte, und setzte sich zum Warten auf einen viereckigen Stein, den bereits jemand vom Schnee befreit hatte.
Der Platz lag inmitten einer unzusammenhängenden Reihe von Hütten aus Holz, Lehm und Backsteinen, die direkt an die circla gebaut waren. Diese elenden Behausungen würden abgerissen werden, sobald die Stadtregierung endlich den Entschluss fasste, die Holzpalisade und den Erdwall durch eine ordentliche Stadtmauer aus Stein zu ersetzen, aber die Armen sorgten sich nicht um ihre Zukunft. Sie würden dem Abriss ihrer Heime stoisch beiwohnen und sie dann eben etwas versetzt wieder neu aufbauen.
Auf dem kleinen Platz war der Schnee noch unberührt, während sich auf der Straße wenige Schritte weiter schon viele Fußstapfen und Spuren von Wagenrädern abzeichneten. Gerardo betrachtete das geschäftige Treiben der Frauen, die mit angeschlagenen Tonkrügen auf der Hüfte oder auf dem Kopf Wasser an einem Brunnen am Ende der Straße holten, wo die Gebäude ein wenig solider gebaut waren und manchmal sogar Verzierungen aus behauenen Steinen aufwiesen. Seine Gedanken kehrten unvermeidlich zu Masino zurück.
Er war davon überzeugt, dass er wegen der Aussicht geflohen war, irgendwann Mönch werden zu müssen, und auf die Weigerung seiner Schwester hin, ihn zu sich zu nehmen. Vielleicht hatte er ja auch zu ihr gewollt. Aber war es ihm gelungen? Die Stadt barg viele Gefahren für ein Kind ohne Begleitung. Am Nachmittag hatte Gerardo versucht, Clara im Viertel Porta San Pietro ausfindig zu machen, wo das Mädchen arbeitete, jedoch ohne Erfolg. Er konnte ja schlecht an jede Haustür klopfen und nach ihr fragen.
Gerardo wurde bewusst, dass die Zeit verging und der Nachmittag allmählich in den Abend überging. Abdul ließ sich nicht blicken. Er stand auf und ging die wenigen Schritte zur Porta Lame. Dort näherte er sich den beiden Soldaten der Stadtmiliz, die in ihrer
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