Die Bruderschaft des Schmerzes
Straße von Sade. Obszön hatte er geglänzt, als sein Erbrochenes von ihm herabtriefte. Die Vision huschte vorüber wie ein Gespenst in der Nacht, aber der Schrecken, den das Wiedererkennen in ihm weckte, wollte nicht vergehen.
Fraden lachte laut, um den Dämon auszutreiben. Auf meine alten Tage noch Schuldgefühle, dachte er. Lächerlich! Wessen soll ich mich denn schuldig fühlen? Ich habe getan, was ich tun mußte, ich bin kein Moro und kein Willem!
Das namenlose Gefühl blieb, es trotzte ihm. Wieder zwang sich Fraden zu einem Lachen. Schon gut, schon gut, sagte er sich. Vater Freud läßt grüßen! Es macht dir zu schaffen, daß du das Baby umgebracht hast, nicht wahr, Bart? Er zwang sich, den furchtbaren Augenblick noch einmal zu durchleben … Dieses gräßliche Gefühl, als …
„Liebe Güte …“ flüsterte er rauh, denn was er fühlte war … nichts. Er fühlte keine Schuld. Er war schuldlos, er hatte getan, wozu die Umstände ihn gezwungen hatten. Nun, da er Rückschau hielt, hinweg über Monate des Krieges, über Tausende von Toten, deren Tod er bewußt hingenommen und ebenso bewußt ausgenutzt hatte, nun, da er sich an den schrecklichsten Augenblick in seinem Leben erinnerte, fühlte er gar nichts.
Da erkannte er den wahren Charakter dieses inneren Schreckengefühls. Nicht die Schuld bedrückte ihn, es war die Angst. Er wußte, daß es nicht die Furcht vor der Zukunft war, vor den Gefahren, die morgen auf ihn warteten, es war die Angst vor der Vergangenheit. Etwas war mit ihm geschehen.
Sein ganzes Leben hindurch hatte Fraden alles bestimmt. Er hatte Situationen, Gegebenheiten und Menschen nach seinem Willen geformt und benutzt. Alles mußte sich seinen Zwecken unterordnen. Er war die Konstante, und das Universum um ihn herum war veränderlich. Ein Wirbel von Geschehnissen umspülte ihn, doch wie ein Fels in der Brandung hatte er hart, ungerührt und im Herzen unbewegt dem Wirbel getrotzt. Er hatte nach Menschen und Ereignissen gegriffen und sie mit seinen Zielen in Übereinstimmung gebracht, doch niemals hatten sie ihn verändert, ihn, den unbewegten Beweger. Er war aus Groß New York hinausgeworfen worden, doch es hatte ihn nicht verändert, er hatte den Gürtel gewonnen und verloren, doch er war derselbe alte Bart Fraden geblieben.
Auf Sangre aber … war etwas mit ihm geschehen. Etwas hatte ihn ergriffen, zutiefst ergriffen, und dieses Etwas war sein ganz persönlicher Mord. Die Tat hatte ihn so tief bewegt, daß er mit einemmal mehr suchte als nur eine neue Pfründe, um den verlorenen Gürtelfreistaat zu ersetzen. Er suchte Rache. Zum erstenmal hatte er sich schuldig gefühlt, aus dem Schuldgefühl war Haß erwachsen, Haß auf sich selbst, der sich sofort in Haß auf die Bruderschaft verwandelt hatte. So wurde er in die Revolution hineingezogen, er ließ sich dazu verführen, daß er mehr in ihr sah als nur ein Mittel zu einem gesunden, selbstsüchtigen Zweck. Schuld hatte zu Haß geführt, der Haß verlangte nach Rache, und Rache war kein rationales Mittel, sie war ein Gefühl. Daraus waren weitere Gefühle erwachsen, aus den Sangranern wurde mehr als nur die Bauernschaft in einem kalkulierten Spiel. Ihm lag etwas daran, ein Held zu werden. Wenn die Massen seinen Namen riefen, dann las er daraus mehr als nur ein Anzeichen dafür, daß seine Pläne aufgingen. Und jetzt stellte sich heraus, daß der Augenblick, der dies alles ausgelöst hatte, nichts bedeutete.
Er hatte sich verändert. Ohne es zu wissen, hatte er die einzige Sünde begangen, die sein persönlicher Moralkodex kannte: Er hatte sich aus der Ruhe bringen lassen!
Zum erstenmal in seinem Leben fühlte Fraden sich von Kräften bewegt, die er nicht bewußt kontrollieren konnte, ein Spielball des Schicksals. Etwas war mit ihm geschehen. Er hatte Sangre verändert, oder nicht? Er hatte den Planeten verändert, oder hatte der Planet ihn verändert? Formte er den Planeten wirklich nach seinem Bilde, oder veränderte der Planet ihn allmählich in die einzige Art Mann, von dem er sich beherrschen ließ, in einen zweiten Moro? In einen Mann also, der die Macht um ihrer selbst willen beanspruchte und nicht wegen der Bequemlichkeit und der Sicherheit.
Fraden spürte eine innere Unsicherheit, die einzige Erscheinungsform der Furcht, die er kannte. Trotz allem, was er je getan hatte, konnte er sich immer für einen Menschen halten, der prinzipiell gut war, ein Mensch, der keinen unnötigen Schmerz verursachte. War das jetzt noch wahr? Hatte
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