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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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hervorschaute. Qualvolles Würgen schüttelte ihn, und aus seinem Mund tropfte es feucht auf die blanken Knochen.
    Er würgte und schluchzte und konnte beides nicht voneinander unterscheiden. Es ist es wert, schrie sein Geist in die Dunkelheit. Es ist es wert! Es ist es wert! Es ist es wert! Es geht um einen ganzen Planeten!
    Endlich hörten die Krämpfe auf, und er sah hinauf zum kalten schwarzen Himmel. Sterne erwiderten gnadenlos seinen Blick, eisige Lichtpunkte in diesem riesigen, schwarzen Nichts.
    „Verdammt noch mal!“ murmelte er trotzig. „Es muß es wert sein!“
     
    Das Guerilla-Camp lag still, dunkel und schläfrig, während die karmesinrote Sonne von Sangre hinter den westlichen Bergen versank. Der Abend vor dem Schmerzenstag war angebrochen. Das schwindende Licht legte ein schwarzrotes Halbdunkel über die verlassenen Baracken und die geräumten Waffenschuppen, die nutzlos und leer auf der Lichtung standen. Die Erde war an zahllosen Stellen von den Lagerfeuern schwarz versenkt, überall lag achtlos fortgeworfener Müll herum. Das Porträt eines Platzes, der seine Schuldigkeit getan hat und verlassen wurde, dachte Fraden, der in der Tür seiner Hütte stand und das fast menschenleere Lager betrachtete.
    Beinahe die gesamte Streitmacht der Volksarmee hatte bereits ihre Stellungen in den Hügeln rings um die Ebene von Sade bezogen. Auf erbeuteten Lastwagen konnten sie die Stadt innerhalb von zwanzig Minuten erreichen. Bei dieser Armee waren auch die zweitausend „Opfer“, die Moro verlangt hatte. Es handelte sich um gewöhnliche Tiere – die meisten darunter waren Banditen – und sie trugen Messer, wie sie die Bevölkerung selbst anfertigte. Die Dolche hatten sie in ihren Lendenschürzen verborgen; man hatte ihnen nur gesagt, daß sie ihren Teil eines komplizierten Schlachtplans erfüllen sollten. Der Anblick der gesamten Volksarmee, die sich marschbereit rings um Sade formiert hatte, hatte ihre Bedenken zerstreut.
    Also war das Guerilla-Camp tatsächlich fast menschenleer. Fraden und Sophia waren noch da, schließlich auch Willem, der auf der anderen Seite der Lichtung in seiner Hütte schlief. Dicht daneben standen die Baracken der Herogynsüchtigen, wo die hundert Freaks der sogenannten Ehrengarde ihren letzten Herogynrausch ausschliefen. Am Rand des Dschungels standen zwanzig Lastwagen, aufgetankt und startbereit. Neben ihrem Parkplatz endete die Straße, die man vom Lager bis zur nächsten Landstraße geschlagen hatte.
    Bart Fraden hielt versonnen Ausschau über das leere Lager, über die Dschungelbasis, die für viele Monate sein Zuhause gewesen war, für eine Zeit, die ihm wie ein Abschnitt von Jahren erschien. Er sah die leeren Waffenschuppen, die verlassenen Baracken und erkannte, daß er niemals wieder die Sonne über diesem Platz herabsinken sehen würde, ganz gleich, was der morgige Tag bringen mochte. Dieser Ort hatte seine Schuldigkeit getan, er war ein Kartenblatt, das bereits ausgespielt war. Er hatte seine Karten gut ausgereizt. Vor weniger als einem Jahr war dieser Platz noch leerer gewesen als heute abend, und er hatte daraus das Zentrum einer Armee gemacht, einer Revolution, die ihm entweder morgen einen Platz in Sade einbringen würde, die Präsidentenschaft der Freien Republik von Sangre mit Sitz in der Hauptstadt, oder …
    Oder den Tod, ganz einfach, sagte Fraden schlicht zu sich selbst. Alles oder nichts, so hieß das Spiel, das Spiel des Schmerzenstages, das Spiel der Revolution, das Spiel seines Lebens. Unentschlossen sah er zu den Sternen auf, diesen kalten, weißen Feuern in der dunkler werdenden Nacht des sangranischen Himmels …
    Plötzlich spürte er, wie seine Augen von einem anderen Bild angezogen wurden. Etwa zwanzig Meter zu seiner Linken ragte ein glatter, grauer Felsbrocken aus der Erde, das Sternenlicht hob ihn bleich aus der Dunkelheit hervor.
    Fraden fröstelte. Einen Moment lang wußte er nicht, warum. Seine Eingeweide verkrampften sich, tief in seiner Kehle stieg etwas auf, seine Seele wurde von einem unbestimmten Gefühl geschüttelt. War es Schrecken? Furcht? Schuldbewußtsein? Angst?
    Während noch der Schrecken durch seine Glieder fuhr, erkannte er seine Quelle. Bevor seine Augen den bleichen Felsen im Sternenlicht als das erkannt hatten, was es war, hatten sie ihm ein Trugbild vorgespielt, eine Vision: Er hatte etwas anderes gesehen, das in einer anderen Nacht ebenso bleich im Sternenlicht aufleuchtete, einen geborstenen, menschlichen Schädel in der

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