Die Bruderschaft des Schmerzes
Neugierde für das Beiboot, das dort so auffällig unpassend im Unterholz ruhte und auf drei Seiten von einer dichten Mauer von Baumstämmen umgeben war. Sie hatten doch bestimmt noch nie im Leben ein solches Beiboot gesehen.
Das alles ergab keinen Sinn. Wenn man sich diese Gestalten nur ansieht, dachte Vanderling. Nur Haut und Knochen, überall Narben, wie Vieh auf einem Lastwagen angekettet! Nach dem, was er gesehen hatte und was ihm Bart über die Verhältnisse auf diesem Planeten erzählt hatte, mußten diese Burschen voller Gift und Galle stecken. Sie müßten geradezu begierig darauf sein, den ersten Bruder oder Töter, der ihnen über den Weg lief, in Stücke zu reißen. Eigentlich hätten sie verrückt danach sein müssen, endlich ein paar Waffen in die Hände zu bekommen … Irgend etwas stimmte nicht mit ihnen. Jeder Mensch mit einem Tropfen Saft in den Adern, den man so behandelt hätte wie diese Jammergestalten, würde kämpfen wie ein Wahnsinniger!
Aber nicht diese armseligen Sangraner. Die trugen die Flinten vor sich her wie Honigtöpfe.
„Na schön, Jungs!“ sagte Vanderling und deutete mit dem Pistolenlauf auf den Boden. „Legt die Waffen ab und erholt euch. Das hier ist unser Camp.“
Vanderling hockte sich hin. Die Sangraner ließen die Gewehre und Morgensterne dort fallen, wo sie gerade standen, und kauerten sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Voll Bitterkeit stellte Vanderling fest, daß er sich Fraden herbeiwünschte. Fraden wußte besser, wie man solche Trottel zu behandeln hatte. Wenn es aufs Reden ankam, dann war Bart der Profi, und er war nur ein Amateur.
Dennoch gab sich Vanderling Mühe, eine ernsthafte, kameradschaftliche und besorgte Miene aufzusetzen. „Ich kann mir gut vorstellen, daß ihr Burschen euch fragt, was eigentlich gespielt wird, hm?“ sagte er. „Nun, so ähnlich geht es mir auch. Warum hat man euch auf diesem Lastwagen angekettet? Seid ihr Sträflinge oder so etwas?“
„Sträflinge?“ fragte der hohlwangige Rotschopf. Er schien etwas gesprächiger als die anderen zu sein, was allerdings nicht viel bedeutete. „Was ist das – ‚Sträfling’? Wir sind Tiere. Bruder Boris’ Tribut für diesen Monat natürlich. Was bist’n du?“
Vanderling plusterte sich in seiner alten Generalsuniform des Gürtel-Freistaats auf. „Ich bin … äh … Feldmarschall Willem Vanderling“ – eine kleine Beförderung kann nichts schaden, dachte er –, „früher Oberkommandierender der Streitkräfte des Gürtel-Freistaats und jetzt Kommandeur der … äh … Volksarmee von Sangre. Wie heißt du, Mann?“
„Gomez. Lamar Gomez. In meinem Dorf haben alle zwei Namen“, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
„Na schön, Gomez, du scheinst von allen hier noch am meisten auf dem Kasten zu haben, daher ernenne ich dich zum Obersten der Volksarmee und zu meinem persönlichen Adjutanten. Aber ihr anderen braucht auch nicht auf der niedersten Stufe zu hocken. Hiermit ernenne ich euch alle zu Hauptleuten. Warum auch nicht? Und nun, Oberst, weiter im Text. Was zum Teufel meinst du mit Bruder Boris’ Tribut?“
Gomez starrte Vanderling verdutzt an. „Von Bruder Boris’ Gut natürlich. Jeden Monat geht ein Tribut von zehn Tieren ab. Diesen Monat waren wir an der Reihe. Wir sind jetzt Sklaven des Propheten. Für die Arena oder die Speisekammer, ganz wie der Prophet es befiehlt. Wir gehören jetzt ihm.“
„Ihr gehört ihm? Sklaven? Arena? Speisekammer? Was meinst du mit ‚Speisekammer’?“ fragte Vanderling.
„Die Sadianer müssen auch essen“, erwiderte Gomez. „Denkst du etwa, die kriegen Fleischtiere? Nur Brüder und Töter essen Fleischtiere. Die Sadianer kriegen nur altes Fleisch wie unseres.“
„Du willst mir doch nicht weismachen, daß sie euch verspeisen?“ brüllte Vanderling. „Einfach so!“
„Alle Tiere werden früher oder später aufgegessen“, sagte Gomez schlicht. „Wir sind früher dran, andere später.“
„Ja, das ist doch wohl …! Also Männer, das braucht ihr nicht länger zu ertragen! Ihr bekommt endlich eine Chance! Wir werden diesen Schurken zeigen, was mit einem Gesindel geschieht, das glaubt, daß es Menschen wie Schweine behandeln könnte, klar? Ich habe Gewehre im Boot, und hier liegen noch mehr Waffen. Genug für alle. Diese Gewehre werden wir benutzen, um die Gutshöfe zu überfallen. Dadurch werden wir mehr Gewehre erbeuten und viele Menschen befreien. Dann können wir weitere Höfe überfallen und gewinnen immer mehr Männer
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