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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Bildschirm, damit sie nicht daran erinnert wurden, daß sie mit schwindelerregender Geschwindigkeit in großer Höhe über die Landschaft Sangres dahinflogen. Es amüsierte ihn, aber es ärgerte ihn zugleich, daß sich die Sangraner nach fünf Tagen immer noch nicht an das Fliegen gewöhnt hatten.
    Das war wirklich symptomatisch für das grobe Material, mit dem erarbeiten mußte. Als Revolutionäre, als Soldaten, ja schlicht als menschliche Wesen ließen die Sangraner noch viel zu wünschen übrig. Sie hatten keine Vorstellung von Freiheit, Gerechtigkeit, Allgemeingut, Demokratie und allen anderen Dingen, die man entfernt mit politischen Zielen oder menschlichen Idealen in Verbindung bringen konnte.
    Es war noch gar nicht lange her, da hatten sie ohne zu zögern auf jedes Augenzwinkern der Töter reagiert. Jetzt bekämpften sie eben diese Töter auf der Seite der Volksrepublik, weil sie an einem Beispiel gesehen hatten, daß man sie besiegen konnte. Was sie sonst noch für Gründe hatten, ließ sich schnell zusammenfassen: Sie kämpften, weil sie verhungern müßten, wenn sie jetzt, da alle Läuse im Bezirk nutzlos geworden waren, noch den Brüdern und den Tötern gehorcht hätten. Sie kämpften, weil es Fraden gelungen war, sich selbst zu einer machtvolleren Führerfigur aufzubauen, als es der Prophet des Schmerzes war, und schließlich kämpften sie, weil sie im Augenblick mehr Angst vor Willems Herogynfreaks und den Schnittpistolen hatten als vor der Brüderschaft und ihren Killern. Das edle Volk von Sangre …
    Wie eine Landkarte glitt die Landschaft unter dem Boot vorbei. Sie war ein unregelmäßiges Schachbrett aus dunkelgrünem Dschungel, hellerem Grasland und bebauten Gebieten. Hin und wieder kam ein Dörfchen ins Blickfeld. Seltener tauchte eines der Anwesen unter ihnen auf, die durch ein Spinnennetz von Straßen miteinander verbunden waren, in dessen Zentrum Sade wie eine Schwarze Witwe hockte. Fraden versuchte den Charakter der Sangraner zu vergessen und auf einer theoretischeren Ebene über den Ablauf der Revolution nachzudenken. Wenn er sie wie ein verzwicktes Schachspiel betrachtete, erhielt er ein hoffnungsvolleres und ästhetischeres Bild von diesem Krieg. Die Sangraner waren im wesentlichen kurzsichtige Tröpfe. Wenn man sich darüber klarwurde, daß ihnen jede Initiative fehlte, daß ihnen Solidaritätsgefühl und Idealismus völlig abhanden gekommen waren, dann konnte man sie manipulieren wie die Bauern auf einem Schachbrett.
    Zur Zeit lief das Spiel auf ein Gambit hinaus.
    Die Situation bot ein nüchternes Beispiel für militärische, ökonomische und psychologische Logik. Die Freie Republik hatte einen Bezirk unter ihrer festen Kontrolle. Sie verfügte zur Zeit über eine Armee von achttausend Mann. Wenn man die Rekrutierungskampagne auf die Nachbarbezirke ausdehnte, dann ließ sich die Zahl der Soldaten auf etwa zehntausend steigern. Mehr war im Moment nicht zu erreichen.
    Der Bruderschaft gehörte alles andere.
    Das bedeutete, daß sie immer noch über den größten Teil der Bezirke herrschten. Von den annähernd fünfzehn Millionen Menschen konnten sie genügend Nahrung, Sklaven und Opfer beziehen, um die Bedürfnisse von ein paar tausend Brüdern und ihrem kleinen Hofstaat zu befriedigen. Über die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft brauchten sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Für diese Aufgabe besaßen sie dreißigtausend Töter – eine Streitmacht, dreimal so groß wie die Volksarmee.
    Aber das, was ihre Stärke darstellte, war zugleich auch ihre Schwäche.
    Dreißigtausend Töter waren eine große Polizeitruppe, aber nur eine sehr kleine Armee. Im Verlauf von drei Jahrhunderten hatten die Sangraner die Töter so sehr fürchten gelernt, daß es ausreichte, wenn man die Hälfte der Tötertruppe in kleinen Gruppen innerhalb der Anwesen stationierte, wo sie die Ordnung aufrechterhielten. Die andere Hälfte der Töter war dazu vorgesehen, sich mit außergewöhnlichen Ereignissen zu befassen, so zum Beispiel mit der Volksarmee.
    Aber wenn die Töter in die Rolle einer Besatzertruppe in einem feindlichen Land gezwungen wurden und sie nicht mehr so handeln konnten wie eine Polizeitruppe, dann reichte ihre Zahl plötzlich nicht mehr aus. Jeder Töter, der irgendwo Besatzungsfunktionen zu erfüllen hatte, war ein Töter, der im Kampf gegen die Volksarmee nicht zur Verfügung stand. Das Hauptproblem lag also darin, die gesamte Töterstreitmacht dazu zu zwingen, die Bewachung der weit

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