Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
zählte er noch gute fünfzig Schritte weiter den Nil aufwärts ab, um sich dann dort hinter einem Dickicht aus mannshohen Jasminsträuchern im Gras niederzulassen. Die hohen Mauern von al-Qahira zeichneten sich weiter oberhalb als pechschwarze Schatten vor dem Himmel ab. Hier und da kämpfte ein Licht gegen die Dunkelheit, wobei es sich wohl um den Schein von Laternen auf dem Wehrgang und bei den verschlossenen Toren handelte. Aus der Entfernung hatte es den Anschein, als verharrten Glühwürmer reglos in der warmen Luft. Tarik kämpfte gegen den Schlaf an, der ihn nun mit Macht bedrängte, weil er den richtigen Zeitpunkt für seine Suche im Fluss auf keinen Fall verpassen wollte. Für Schlaf war später Zeit genug. Mehrmals fielen ihm kurz die Augen zu, aber er schreckte je des Mal gleich wieder auf. Er hatte viel Zeit, sich Gedanken über Abbé Villard, das Wunder ihrer Berufung, das schändliche Ende von Akkon und die Ereignisse auf der Calatrava zu machen. Das Schicksal seiner Freunde und das der Granville-Schwestern ließ ihm keine Ruhe. Doch noch mehr bereitete ihm die Vorstellung entsetzliche Beklemmungen, das Schiff könnte aus dem Hafen auslaufen und in See stechen, bevor er eine Möglichkeit gefun den hatte, den Heiligen Gral zu retten. Die innere Unruhe trieb ihn schließlich schon ins Wasser, bevor der erste Sonnenstrahl sich auf die still dahintreibenden Fluten des Nils legen konnte. Es drängte ihn, endlich etwas zu tun, das ihn dem heiligen Kelch des letzten Abendmahls wenigstens einen kleinen Schritt näher brachte. Und den Gürtel mit den Goldstücken wieder in den Händen zu halten, war ein solcher Schritt vorwärts. Es bereitete ihm mehr Mühe, das Wrack wiederzufinden, als er gedacht hatte. Dreimal schwamm er zwischen dem Anlegesteg und dem Ausgangspunkt seiner Suche hin und her. Dabei konnte er sich nur auf sein Tastvermögen verlassen, denn Licht drang nicht zu ihm hinunter. In völliger Finsternis zu tauchen, war eine ebenso aufregende wie beunruhigende Erfahrung. Dass er auch jetzt wieder unter Wasser zu atmen vermochte, empfand er auch diesmal als ein tief greifendes Wunder. Er wollte die Suche schon weiter flussaufwärts verlegen, als seine tastende Hand plötzlich auf den harten Widerstand eines kantigen Wrackteils stieß. Schnell hatte er die Stelle gefunden, wo er die Stiefel mit dem goldgefüllten Seidengürtel und seinem breiten Ledergurt verklemmt hatte. Er jubilierte innerlich, dass nichts verloren gegangen war. Vorsichtig zog er die Stiefel heraus und tauchte Augenblicke später im Schilf auf. Schnell band er sich den Seidengürtel um den nackten Körper. Dann schlich er mit den Stiefeln unter dem Arm zu den Jasminsträuchern. Den breiten Ledergurt warf er zurück ins Wasser. Zwar trug er nicht das Templerzeichen, aber ein kundiges Auge würde ihn vermutlich dennoch als einen Gürtel erkennen, an dem ein christlicher Krieger sein Schwertgehänge anbrachte. Und dieses Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen. In Cairo würde es ihm ein Leichtes sein, sich einen arabischen Gürtel zu kaufen. Bevor er wieder sein Untergewand anzog und sich Maslamas gestreiften Kaftan überwarf, brachte er die unangenehme Aufgabe hinter sich, die vielen verschluckten Edelsteine wieder ans Licht des Tages zu bringen. So kauerte er sich nahe am Wasser hin, ver richtete sein Geschäft und trennte die Smaragde und Rubine mithilfe eines kleinen Stöckchens von seinen Ausscheidungen. Er wusch die Juwelen im Nil, trocknete sie mit dem Saum seines Gewandes ab und verstaute die Edelsteine sorgfältig in den kleinen Taschen des Seidengürtels. Drei der fünfeckigen Stücke aus purem Gold nahm er heraus. Er steckte sie in die beiden kleinen Innentaschen des Kaftans. Mittlerweile stieg die Sonne im Osten auf. Wie eine blutrote Orange tauchte sie hinter den zerklüfteten Bergzügen des Mokkatam auf und griff nach den Kuppeln der Moscheen und den zahllosen Minaretten, die wie lehmfarbene Speere aus dem Häusermeer von al-Qahira aufragten und nun wie vergoldet zu leuchten begannen. Jetzt wurden die Stadttore geöffnet. Zeit, sich in die Höhle des Löwen zu wagen!
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Mit einer mörderischen Wut im Bauch, die seiner eige nen unverzeihlichen Dummheit galt, starrte McIvor in den Himmel. Er lag mit dem Rücken auf den harten Steinplatten des Innenhofs inmitten der anderen männlichen Sklaven, die an diesem Morgen in der Karawanserei des Gazi Abdul Gaharka zum Verkauf standen. Das schwere hölzerne Joch, das seinen
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