Die Bruderschaft
ursprünglich vorgeschwebt hatte.
Doch durch den Klang seiner Stimme war Ricky ihm mit einem Mal viel näher, und das machte Lake unruhig. Was vor ein paar Monaten als ein eigenartiges kleines Spiel begonnen hatte, barg jetzt ein schreckliches Risiko. Es war viel zu gefährlich. Lake zitterte bei dem Gedanken, ertappt zu werden.
Das erschien ihm allerdings unmöglich. Er war gut hinter der Maske von AI Konyers verborgen. Ricky hatte keine Ahnung. Auf der Kassette war immer nur vom »lieben AI« die Rede. Das Postfach war sein Schutz.
Aber er musste diese Sache beenden. Jedenfalls bis auf weiteres.
Die Boeing war voll besetzt mit Lakes gut bezahlten Leuten. Es gab kein Flugzeug, das groß genug gewesen wäre, um all seine Mitarbeiter aufzunehmen. Hätte er eine 747 geleast, dann hätten sich binnen kurzem Wahlkampfassistenten, Berater und Umfrageexperten darin gedrängt, ganz zu schweigen von seinen immer zahlreicheren Leibwächtern vom Secret Service.
Je mehr Vorwahlen er gewann, desto schwerer wurde sein Flugzeug. Es wäre vielleicht nicht unklug, in ein paar Bundesstaaten zu verlieren - und sei es nur, um ein wenig Ballast loszuwerden.
In der abgedunkelten Flugzeugkabine nippte Lake an einem Tomatensaft und beschloss, einen letzten Brief an Ricky zu schreiben. AI würde ihm alles Gute wünschen und den Briefwechsel beenden. Was sollte der Junge schon dagegen unternehmen?
Er war in Versuchung, den Brief auf der Stelle zu schreiben, hier, in dem bequemen Sessel mit der ausgefahrenen Fußstütze. Doch jeden Augenblick konnte irgendein Assistent mit einem atemlos vorgetragenen Bericht auftauchen, den der Kandidat unverzüglich hören musste. Er besaß keine Privatsphäre mehr. Er hatte keine Muße, um nachzudenken, einfach herumzuschlendern oder sich Tagträumen hinzugeben. Jeder einzelne angenehme Gedanke wurde sogleich von einem Umfrageergebnis unterbrochen, von einer soeben verbreiteten Nachricht, von einem Ereignis, das eine sofortige Reaktion erforderte.
Wenn er erst im Weißen Haus residierte, würde er seine Ruhe haben. Er war schließlich nicht der erste Einzelgänger, der dort einzog.
EINUNDZWANZIG
Der Fall des gestohlenen Handys faszinierte die Insassen von Trumble schon seit einem Monat. Mr. T-Bone, ein drahtiger Bursche aus einem Ghetto in Miami, der für Drogenvergehen zwanzig Jahre bekommen hatte, war auf nicht ganz geklärte Art und Weise zu einem Handy gekommen. Sie waren in Trumble streng verboten, und über die Methode, wie er sich eins verschafft hatte, kursierten mehr Gerüchte als über T. Karls Sexleben. Die wenigen, die es zu Gesicht bekommen hatten, beschrieben es - nicht vor der Bruderschaft, sondern gegenüber anderen Insassen - als etwa so groß wie eine Stoppuhr. Man hatte Mr. T-Bone in dunklen Ecken gesehen, wo er, der Welt den Rücken zukehrend, gebeugt und das Kinn auf die Brust drückend, in sein Handy murmelte. Offenbar steuerte er noch immer die Aktivitäten seiner Leute in Miami.
Und dann war es mit einem Mal verschwunden. Mr. T-Bone verkündete, er werde den Dieb umbringen, und als diese Drohung nichts nützte, setzte er eine Belohnung in Höhe von 1000 Dollar aus. Der Verdacht fiel auf Zorro, einen anderen jungen Drogendealer, der aus einem Viertel von Atlanta stammte, in dem es nicht weniger hart zuging als in Mr. T-Bones Heimat. Es schien, als stünde ein Mord kurz
bevor, und so schalteten sich die Wärter und die Anzugträger von der Gefängnisverwaltung ein und machten den beiden unmissverständlich klar, dass man sie verlegen werde, sollte die Sache aus dem Ruder laufen. Gewalt wurde in Trumble nicht geduldet. Die Strafe dafür war, dass man seine restliche Zeit in einem stärker gesicherten Gefängnis absitzen musste, dessen Insassen mit Gewalt bestens vertraut waren.
Jemand erzählte Mr. T-Bone von den wöchentlich stattfindenden Gerichtsverhandlungen, und binnen kurzem hatte er T. Karl kontaktiert und eine Klage eingereicht. Er wollte sein Handy zurück und forderte eine Million Dollar Schadenersatz.
Beim ersten anberaumten Termin erschien der stellvertretende Direktor in der Cafeteria, um die Verhandlung zu verfolgen, die von den Richtern jedoch sogleich vertagt wurde. Dasselbe geschah beim zweiten Termin. Niemand würde in Anwesenheit eines Beamten der Verwaltung Aussagen darüber machen, wer möglicherweise im Besitz eines verbotenen Handys war. Was die Wärter betraf, die die wöchentlichen Verhandlungen verfolgten, so konnte man sicher sein, dass sie
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