Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
weiteren Spiegel von der Wand und stellte ihn dem anderen gegenüber auf, dann wandte sie sich zur Tür.
Rauch kroch durch den Spalt. Elena blickte in die endlose Reflektion ihres Spiegelbilds, ließ die Finger kreisen, richtete die Spiegel aus und markierte ihre Position. Da begann es an der Tür zu rütteln.
Lorenzo hob die Kinder aufs Sims, dann drehte er sich um, das Gesicht starr und entschlossen. Es war das Gesicht eines Mannes, der wusste, die nächsten Augenblicke würden seine letzten sein.
Elena konnte nur noch schreien: »In Deckung, Lori!«
Diesmal kamen keine Rufe, keine Schmähungen, nur eine schwarze Faust, die genau in dem Moment durch die Tür brach, als Elena zur Seite sprang. In einem der Spiegel sah sie, wie die Tür aufflog. Rauch strömte herein und verhüllte alles. Elena zog sich noch ein Stück weiter zurück und verschwand.
Samir schnitt eine Grimasse. Gurvon hatte ihn gewarnt, das Miststück sei schnell, und das war sie in der Tat, obwohl sie nur ein Halbblut war und eine vertrocknete alte Jungfer obendrein. Aber ich habe absolute Feueraffinität , dachte er hämisch.
Nur wenige auf Urte überlebten auch nur einen einzigen halbherzigen Angriff von ihm, und Samir hatte sich die ganze Nacht vorbereitet, hatte meditiert und seine Kräfte konzentriert. Kurz vor dem Morgengrauen sei bereit , hatte Gurvon gesagt. Wir werden sie töten, jeden Einzelnen.
Was für eine willkommene Überraschung! Also hauen wir nicht nur einfach ab, Gurvon?
Nein, wir bringen sie alle um. Sordell und ich übernehmen den König, du die Königin und die Kinder.
Was ist mit Elena?
Wir können ihr hierbei nicht trauen. Sie ist eine von ihnen geworden. Tu, was immer zu tun ist.
Alle wussten, dass Gurvon sich mittlerweile Vedya zur Geliebten genommen hatte. Elena bedeutete ihm nicht mehr das Geringste. Mit Vergnügen, Gurvon. Und ein Vergnügen war es in der Tat. Als der Befehl kam, hatte er direkt hinter der fetten alten Fadah gestanden, und der erste Flammenstrahl, der die Königin zu Asche zerblies, war wie ein Orgasmus gewesen. Dann war Elena aufgetaucht, und Gurvon hatte recht behalten: Sie war verdammt schnell und gerissen. Wie sie ihre Schilde ausgerichtet hatte, damit sein eigenes Feuer den Boden unter seinen Füßen einäscherte – nicht schlecht. Den Trick würde er sich merken.
Er riss die Tür zum Kinderzimmer auf. Zeit, es zu Ende zu bringen . Er blies einen Rauchschwall in das Zimmer und machte seine Schilde bereit, aber nichts geschah. Elena mochte schnell sein, aber sie hatte keine Feuerkraft, und jetzt gingen ihr langsam die Rückzugsmöglichkeiten aus. Irgendwo zwischen den Schwaden stöhnte Lorenzo di Kestria vor Schmerz. Samir lächelte zufrieden. Das war das Schöne an Feuer: Es richtete nicht nur immensen Schaden an, es fügte auch unvorstellbare Schmerzen zu. Schmerzen, wie Folterknechte sie sich in ihren schönsten Fantasien erträumten. Schmerzen, wie er sie dieser verschrumpelten Anborn-Hexe in allen Facetten zufügen würde, bevor er sich den Kindern widmete …
Der Rauch wurde aufgewirbelt und stieg zur Zimmerdecke. Zwischen zwei Spiegeln stand Elena direkt vor ihm, einen Dolch in der linken Hand. Mit der rechten feuerte sie ein blaues Gnosisblitzchen auf ihn ab, das wirkungslos an seinem Schild verpuffte. Sie sah erschöpft aus, musste am Ende ihrer Kräfte sein.
Lächelnd hob Samir die Hände und gab alles, was er hatte. Er schrie auf vor Entzücken, als die Luft selbst zu glühen anfing, so heiß waren die Flammen. Alles flimmerte in der Hitze, das durchscheinende Gnosisfeuer ergoss sich über Elena und durchschlug sie, verdampfte das Bett und das Stück Wand dahinter.
Dann stand Elena erneut vor ihm, genau dort, wo sie zuvor schon gewesen war, nur hielt sie diesmal zwei lange dünne Messer in den Händen.
Unversehrt. Wie ist das möglich? Samir spürte etwas hinter sich, doch es war zu spät: Er fühlte zwei Einstiche knapp unterhalb der Achselhöhlen, dann hörte er ein metallisches Klirren, mit dem die Spitzen der Klingen sich tief in seiner Brust trafen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Elenas Abbild an, das ihm zuzwinkerte und dann verschwand.
Eisige Kälte breitete sich in ihm aus. Er versuchte, seine Kraft heraufzubeschwören, griff jedoch ins Leere. Er versuchte zu sprechen, aber seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Auch die Beine wollten ihn nicht mehr tragen, und er spürte, wie sein Herz stehen blieb.
»Ich bin Rechtshänderin, falls du’s noch nicht
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