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Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Titel: Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hair
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jetzt weiterschlafen, Ella. Du siehst schlimm aus.«
    Elena blickte das junge Mädchen verblüfft an. Es war, als sei das Kind über Nacht erwachsen geworden. »Wie könnte ich schlafen, wenn meine Princessa so viel zu tun hat?«, flüsterte sie.
    »Wenn Vater eines gewaltsamen Todes gestorben ist, wird es keine Wahlen geben. Timori ist sein Erbe, und damit bin ich jetzt die Regentin«, erklärte Cera mit erstaunlich gefasster Stimme. »Ich trage jetzt die Verantwortung.«
    »Bist du bereit dazu?«, fragte Elena leise. »Die Männer werden versuchen, dich kaltzustellen. Selbst wenn sie es nicht bewusst tun, aber sie werden in dir nicht mehr sehen als … Nun ja, du weißt schon.«
    »Ja: nur ein kleines Mädchen.« Cera richtete sich auf und reckte das Kinn vor. »Das Gesetz schreibt vor, dass ich jetzt die Regentin bin, und genau das werde ich sein. Die Blutfehde wird bald beginnen. Javon braucht eine Anführerin, keine zerstrittenen Splitterfraktionen. Und ich werde diese Anführerin sein, bis Timori alt genug ist.«
    Sieh dich an, Kind. Nein. Sie ist jetzt kein Kind mehr . Elena schluckte. Ich bin stolz auf dich. So stolz, dass ich beinahe Angst vor dir habe.
    Sie standen auf und halfen einander beim Ankleiden. Elena band sich einen Schwertgurt um den locker sitzenden Kittel, Cera legte ihre Purpur- und Goldgewänder an. Schließlich setzten die Diener ihr die Prinzessinnenkrone auf, die staatlichen Festakten vorbehalten war. Gemeinsam gingen sie durch die verkohlten Überreste der Empfangshalle, vorbei an dem zertrümmerten Kronleuchter, und traten nach draußen.
    Auf der Haupttreppe schlug ihnen die flirrende Hitze aus dem Innenhof entgegen. Sowohl Jhafi als auch Rimonier waren gekommen, es waren Hunderte, die sich auf dem kleinen Platz drängten. Ihr Schweißgeruch lag stechend in der Luft. Als die Menge sie erblickte, brach Gemurmel aus. Harshal al-Assam kam von einem der Türme herbeigeeilt. Als alle begriffen hatten, wer da auf der Treppe stand, verstummten die Rufe der Klageweiber, und alle drängten nach vorn.
    Elena stand unbehaglich neben ihrer Schutzbefohlenen. Die unüberschaubare Menschenmenge machte sie nervös, aber auf den Gesichtern derer, die näher kamen, sah sie nichts als Trauer und Mitgefühl. Ein Mädchen küsste ehrfürchtig den Saum von Ceras Gewand, während Elena die Mauern absuchte für den Fall, dass Gurvon als Rückversicherung noch einen zweiten Attentäter geschickt hatte. Sie spürte aber nichts. War ihm überhaupt in den Sinn gekommen, dass Samir versagen könnte?
    Cera hob die Hand, und sofort trat Totenstille ein. Die Menge zog sich zurück, und alle sanken auf die Knie. Als Cera sprach, war ihre Stimme hell, aber fest. »Bürger von Forensa, ihr kennt mich. Ich bin Cera Nesti, eure Prinzessin, und ich habe schlimme Kunde zu überbringen: Meine Mutter, Fadah Lukidh-Nesti, eure Königin und Königin von ganz Javon, ist tot. Außerdem ihre Schwester, meine Tante Homeirah Lukidh-Ashil. Der Verlust ist schwer, doch mein Bruder Timori, der Thronerbe, ist unverletzt und wohlauf. Ein Attentäter hat heute versucht …« Sie hielt kurz inne und schluckte schwer – das erste Anzeichen dafür, wie viel Kraft sie dieser Auftritt kostete. »Ein Attentäter hat heute versucht, die gesamte Familie auszulöschen, und es wäre ihm ohne Zweifel gelungen, wären nicht unsere tapferen Leibwächter gewesen.«
    Leiser Jubel erhob sich, vor allem unter den Rimoniern.
    »Die größte Heldin von allen war die Frau, die hier neben mir steht: Elena Anborn, meine persönliche Leibwächterin und Beschützerin. Obwohl sie selbst verletzt war, kämpfte sie weiter, rettete meinen Bruder und mich und tötete den Attentäter. Sie ist meine teure Freundin, und ich preise sie vor Euch allen.«
    Plötzlich fand sich Elena im Fokus des Interesses wieder, und sie spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, während sie mit ihren Gewissensbissen kämpfte. Ihre Beine zitterten und gaben schließlich nach. Wortlos sank sie auf die Knie und legte wie benommen die Stirn auf Ceras Füße. Es war gar nicht ihre Absicht gewesen, aber diese öffentliche Ehrbezeigung, diese demütigste aller Unterwerfungsgesten, trug Elena das Wohlwollen all der trauernden Menschen ein. Mit einem Mal begriff Elena, dass sie ihre typisch norische Art, alles und jeden gleich zu behandeln, als Arroganz aufgefasst hatten. Ihre unbeabsichtigte Huldigung verstanden die Menschen als eine verspätete Wiedergutmachung, eine öffentliche

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