Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Titel: Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hair
Vom Netzwerk:
Aber denk daran, Ramita: Du wirst heute den Hochzeitssari deiner Mutter tragen. Die Gewänder hier sind für andere Anlässe bestimmt. Wenn du die Prinzen von Hebusal besuchst vielleicht.« Einen Moment lang sah Ispal beinahe glücklich aus. Dann drehte er sich um und ging hinaus.
    Tanuva war die Erste, die sich rührte. Sie nahm zuerst dies zur Hand, dann jenes. Mit feuchten Augen starrte sie die Kostbarkeiten an, dann rannte auch sie aus dem Zimmer. Ramita wollte ihr folgen, aber Huriya hielt sie zurück. »Sie muss ein wenig allein sein, Schwester.« Sie hob eine Kette hoch, liebkoste sie gierig, dann warf sie das Schmuckstück Ramita zu. »Probier die mal!«
    Es dauerte lange, bis sie mit allem durch waren. Ramita war zu überwältigt, um zu begreifen, dass all das jetzt ihr gehörte, aber sie genoss Huriyas beinahe ekstatisches Entzücken über all die Reichtümer. Das Keshi-Mädchen war ganz in seinem Element, und ihre grenzenlose Begeisterung griff ein Stück weit auf Ramita über. Gemeinsam arbeiteten sie sich durch die Ohr- und Nasenringe, die Lippenstecker, Arm- und Fußreifen, die Ringe und Halsketten, bis Rubine und Diamanten und sogar die Perlen etwas genauso Alltägliches geworden waren wie die Kichererbsen und Linsen unten in der Küche. Sie streichelten die Seidensaris, die Salware und Dupattas, fuhren mit den Fingerspitzen über den schweren Brokat, bestaunten die fein gewobenen Muster und wundervollen Farben. Die Stücke, die Ramita am meisten den Atem verschlugen, gab sie Huriya, nur um das Entzücken in ihren Augen zu sehen.
    »Hat es sich nicht allein schon deshalb gelohnt?«, fragte Huriya. »Er ist ein alter Mann, er wird bald sterben, und wir werden frei und reich sein.« Huriya sprach nur noch von »wir«, jetzt, da sie Ramita nach Norden begleiten würde, und Ramita war ihr dankbar dafür. Sie brauchte dieses Wir, weil sie es allein niemals durchstehen würde.
    Spät am Nachmittag kamen die Soldaten aus Rondelmar an, wie Insekten in Rüstungen staksten sie durch das farbenfrohe Treiben. Hauptmann Lems Kiefer klappte nach unten, als er durch das Tor des Innenhofs schritt und all die bunten Bänder und die in grelle Farben gewandeten Frauen erblickte. Nach einer Weile verzog sich sein versteinertes Gesicht zum Anflug eines Lächelns, trotzdem machte ihn der schwer zu überblickende Trubel eindeutig nervös. Alle starrten ihn an, dieses fremdländische Wesen, diesen grimmigen rondelmarischen Riesen, der aussah, als sei er direkt der Legende entstiegen.
    Den ganzen Tag über dachte Ramita nur ein einziges Mal an Kazim: Es schien irgendeinen Zwischenfall auf der Straße zu geben, und sie glaubte zu hören, wie er ihren Namen rief, aber nichts geschah. Meiros’ Wachmänner hielten jeden fern, selbst die neugierigen Straßenschläger des hiesigen Verbrecherbosses Chandra-bhai. Ispal würde Wachleute anheuern müssen, um sein Haus zu schützen. Bisher hatten sie nie etwas besessen, das zu stehlen sich gelohnt hätte, und zum ersten Mal kam es Ramita in den Sinn, dass dieser neu gewonnene Reichtum ein zweischneidiges Schwert sein könnte. Wie würden die Prinzen es aufnehmen, dass ein Händler mit einem Mal zu solch immensem Wohlstand gekommen war? Immer mehr mögliche Probleme fielen ihr ein, und sie fing an, nervös auf ihren Lippen herumzubeißen.
    In dem bunten Treiben fiel niemandem auf, wie still Ramita war. Ein paar der älteren Männer und Frauen tanzten gemächlich, und der Geruch des kochenden Essens zog die unterschiedlichsten Menschen aus der Nachbarschaft an. In Lumpen gekleidete hungernde Kinder bettelten am Tor, und wann immer Ramita auftauchte, starrten alle sie an. Als es ihr unerträglich wurde, ging sie zurück ins Haus und bereitete sich zögerlich auf die ihr bevorstehende Prüfung vor. Die Zeit raste und stand gleichzeitig still.
    Gemeinsam mit Huriya wusch sie sich in dem winzigen Abtritt mit heißem Wasser aus einem Eimer. Danach gingen sie ins Ankleidezimmer, wo sogleich eine ganze Schar Frauen herbeigeströmt kam, um ihre Saris zu bewundern. Als die Frauen den Schmuck erblickten, verschlug es ihnen die Sprache. Sie begriffen, dass es handfeste materielle Gründe für diese eigenartige Hochzeit gab, Ramita sah es an ihren Gesichtern. In manchen spiegelte sich der blanke Neid. Sie schauten Ramita an, als fragten sie sich: »Warum sie, warum nicht meine Tochter?« Andere stürzten sich auf Tanuva, priesen sie, was für eine gute Mutter sie sei, und erinnerten sie daran, wie

Weitere Kostenlose Bücher