Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
oft sie den Ankesharans in der Vergangenheit großzügig beigestanden hatten. Tanuva wurde es schließlich zu dumm, und sie scheuchte alle hinaus, erklärte, die Mädchen brauchten Zeit, sich vorzubereiten. Nur Pashinta durfte bleiben und half mit stoischer Miene, das Zimmer zu räumen. Als Tanuva schließlich Jai hereinrief, damit er die Geschenke bewachte, schien sie den Tränen nahe.
Stumm kleideten die Mädchen sich an. Nur Huriya konnte die Reichtümer in vollen Zügen genießen, mit denen sie sich ausstaffierten. Der kastanienbraune Hochzeitssari von Ramitas Mutter war reich mit Goldfäden und Mustern verziert. Er war das edelste – und auch das einzige – kostbare Kleidungsstück, das die Familie bis zu diesem Tag besessen hatte. Er war ein Familienschatz, in achtzig Jahren erst vier Mal getragen. Dennoch verblasste er im Vergleich zu den anderen Saris, die Vikash mit Meiros’ Geld gekauft hatte.
Für Ramita fühlte es sich eigenartig an, so mit Gold und Juwelen behängt zu werden, wo sie doch bis jetzt immer nur billigen Schmuck aus Messing und Glas getragen hatte. Der große Nasenring mit dem Kettchen, das bis zum Ohr reichte, war besonders unangenehm, und sie hatte das Gefühl, ihr Ohrläppchen würde jeden Moment ausreißen. Die Armreifen aus Gold und Glas klapperten bei jeder Bewegung. Pashinta puderte ihr Gesicht, trug Rouge auf ihre Wangen auf, schminkte ihre Augen mit schwarzem Kajal und malte ihr mit Sandelholzpaste das traditionelle Hochzeitsmuster aufs Gesicht. Es dauerte ewig.
Pashinta musterte sie. »Du bist ein hübsches Mädchen, Ramita. Dein Bräutigam wird erfreut sein.« Sie wusste natürlich, wer der Bräutigam war. Tanuva vertraute ihr in solchen Dingen. »Ramita, Liebes, du tust etwas sehr Tapferes«, murmelte sie, »aber diese Hochzeit scheint mir unter keinem guten Stern zu stehen. Man erwartet zu viel von dir. Wir sind einfache Menschen. Wir sind nicht dafür geschaffen, Gold und Juwelen und Seide zu besitzen und mit Prinzen zu verkehren. Ispal, Vikash und all die anderen Männer, sie denken nur ans Geld, und ich bete darum, dass du nicht diejenige sein wirst, die den Preis für ihre Gier bezahlen muss.«
»Mach dir keine Sorgen, Tante«, erwiderte Ramita mit so fester Stimme, wie sie nur konnte. »Vater hat das Richtige getan.« Die Worte klangen hohl, selbst in Ramitas Ohren. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als fest daran zu glauben, dass ich all das zum Wohl meiner Familie tue. Ich kann es mir nicht leisten, daran zu zweifeln.
Pashinta wandte den Blick ab. »Du bist eine gute Tochter, Ramita. Möge Parvasi dich schützen.« Da erschallte draußen eine Fanfare, und alle schreckten hoch. Pashinta sah aus dem Fenster, das Gesicht versteinert. »Bei allen Göttern, er ist hier.«
Ramita saß in der Küche auf ihrem Piri-Hocker. Die mit Henna bemalten Hände hatte sie so fest in Huriyas Sari verkrallt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Als Pashinta in Erfüllung der traditionellen Rolle, die ihr als Freundin des Hauses zukam, nach unten ging, um den Bräutigam willkommen zu heißen, hörte Ramita alles und sah nichts. Ihrem Vater lief der Schweiß in Strömen herunter. Muschelhörner wurden geblasen, die versammelten Frauen sangen und besprenkelten Meiros mit Rosenwasser. Ramita schloss die Augen und begann zu beten. Dies war kein Traum. Statt Kazim zu heiraten, wie sie beinahe ihr ganzes Leben lang geglaubt hatte, würde sie einem Greis zur Frau gegeben und in ein anderes Land gebracht werden. Sie beugte sich ganz nahe an Huriyas Ohr. »Wo ist Kazim?«
»Er ist beim Dom-al’Ahm und kümmert sich um Vaters Beerdigung«, flüsterte Huriya durch ihren Schleier zurück. »Er hat mir aufgetragen, dir zu sagen, dass er dich vermisst, dass er dich liebt, dass er für immer Dein sein wird.«
Ramita schaute sie nur an. »Was hat er wirklich gesagt?«
Huriya ließ die Schultern hängen. »Dumme, hässliche Dinge«, erwiderte sie mit flacher Stimme. »Er ist wütend. Er hat jetzt neue Freunde bei den Amteh und will nicht mehr mit mir sprechen.« Ihr Gesicht wurde hart. »Wenn er mich nicht braucht, brauche ich ihn auch nicht.«
Oh nein, Kazim! Bitte, hasse mich nicht. Ich werde immer dir gehören, was auch geschieht.
Und dann war die Zeit plötzlich um. Ihre Mutter strich Ramita mit zitternden Fingern über den Handrücken, dann ging sie nach oben. Es brachte Unglück, wenn eine Mutter bei der Hochzeit ihres Kindes anwesend war.
Huriya gab Ramita zwei Bananenblätter,
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