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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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die Brille
wieder auf die Nase. »Fühlen Sie sich gut genug, um
fortzufahren?«
    »O ja.«
    »Gut.« Der Doktor lächelt tatsächlich, wenn
auch ein bißchen gekünstelt wie ein Mann, der einen
grellen Schlips anprobiert und genau weiß, daß er ihm
nicht steht. »Bitte, fahren Sie fort, wenn Sie dazu bereit
sind.«
    Mir bleibt keine Wahl. Ich habe ihm bereits gesagt, es seien drei
Träume gewesen.
    »Im nächsten Traum, wieder in Schwarzweiß,
beobachte ich ein Paar in einem Garten, vielleicht einem Irrgarten.
Sie sitzen auf einer Bank, küssen sich. Hinter ihnen ist eine
Hecke und eine Statue, die… nun, eben eine Statue, eine Gestalt
auf einem Sockel. Die Frau ist jung, attraktiv, der Mann – der
eine Art Abendanzug trägt – ist älter; er wirkt
distinguiert. Sie umarmen sich leidenschaftlich.« Ich bin dem
Blick des Doktors ausgewichen. Jetzt kostet es mich eine
beträchtliche Willensanstrengung, den Kopf wieder zu heben und
ihn anzusehen. »Und dann erscheint ein Diener, ein Butler oder
Lakai. Der alte, distinguierte Mann und die junge Frau drehen sich zu
ihm um. Er sagt etwas wie: ›Botschafter, das Telefon.‹ Die
junge Frau steht von der Bank auf, glättet ihr Kleid und sagt so
ungefähr: ›Verdammt. Die Pflicht ruft. Tut mir leid,
Liebling‹, und folgt dem Diener. Der alte Mann geht
enttäuscht zu der Statue hinüber, betrachtet einen ihrer
marmornen Füße, holt dann einen großen Hammer hervor
und haut damit auf den großen Zeh.«
    Dr. Joyce nickt, macht ein paar Notizen und sagt: »Es
würde mich interessieren, was Ihrer Meinung nach der Dialekt zu
bedeuten hat. Aber fahren Sie fort!« Er blickt auf.
    Ich schlucke. Ich habe ein seltsames hohes Winseln in den
Ohren.
    »Der letzte Traum, oder der letzte Teil des Traums, spielt am
Tag, auf irgendwelchen Klippen oberhalb eines Flusses in einem
schönen Tal. Ein kleiner Junge sitzt mit anderen Kindern und
einer schönen jungen Lehrerin zusammen und ißt ein
Butterbrot… ich glaube, es ist ihr Lunch, und hinter ihnen ist
eine Höhle… nein, da ist keine Höhle… Jedenfalls,
der Junge hält sein Butterbrot in der Hand, und ich sehe es mir
ebenfalls an, ganz aus der Nähe, über ihm, und
plötzlich erscheint darauf ein großer dunkler Klecks, dann
noch einer, und der Junge sieht verblüfft zu der Klippe hoch,
und über den Klippenrand hängt eine Hand, und sie hält
eine Flasche mit Tomatensoße, die auf das Brot des Jungen
tropft. Das ist alles.«
    Was nun?
    »Mm – hmm«, sagt der Doktor. »War dies ein
feuchter Traum?«
    Ich starre ihn an. Er hat ganz sachlich gefragt, und
natürlich ist alles, was hier gesprochen wird, streng
vertraulich. Ich räuspere mich. »Nein, es war
keiner.«
    »Ich verstehe.« Der Doktor verwendet einige Zeit darauf,
eine halbe Seite mikroskopisch kleiner, sauberer Notizen zu machen.
Meine Hände zittern, ich schwitze.
    »Nun«, sagt der Doktor, »ich glaube, wir sind in
diesem Fall zu einem… Wendepunkt gelangt, meinen Sie nicht
auch?«
    Zu einem Wendepunkt? Was will der gute Doktor damit sagen?
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, antworte
ich.
    »Wir sind in eine neue Phase der Behandlung
eingetreten«, erklärt Dr. Joyce mir. Mir gefällt der
Ton nicht, in dem er es sagt.
    Der Doktor gibt einen genau berechneten professionellen Seufzer
von sich. »Während ich einerseits glaube, daß wir
hier eine ganze Menge Material haben…« – er
blättert mehrere Seiten mit Notizen zurück –,
»habe ich andererseits doch nicht den Eindruck, wir kämen
dem Kern des Problems irgendwie näher. Wir bewegen uns im Kreis
darum herum, das ist alles. Wenn wir…« – er blickt zur
Decke hoch – »uns den menschlichen Verstand als –
sagen wir – eine Burg vorstellen…«
    Oh-oh, mein Doktor liebt Metaphern.
    »… dann haben Sie in den letzten Sitzungen nichts weiter
getan, als daß Sie mich zur Besichtigung Ihrer
Außenmauern herumgeführt haben. Ich will damit nicht
sagen, daß es Ihre Absicht sei, mich zu täuschen; ich bin
überzeugt, daß Sie sich selbst ebenso helfen wollen, wie
ich Ihnen helfen will, und wahrscheinlich glauben Sie, daß wir
uns auf dem Weg ins Innere befinden, auf den Turm zu, aber… Ich
bin in diesem Geschäft ein alter Hase, John, und ich merke es,
wenn ich nirgendwohin gelange.«
    »Oh.« Diese Burg-Vergleiche ertrage ich nicht mehr viel
länger. »Und was nun? Es tut mir leid, wenn ich
nicht…«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, John«,
versichert Dr. Joyce mir. »Aber ich glaube, daß

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