Die Brücken Der Freiheit: Roman
mittlerweile weiß, daß es ohne meine Spielschulden vielleicht gar nicht so weit gekommen wäre, fragte sich Jay. Allein die Vorstellung war entsetzlich.
Er ging wie üblich zum Lager seiner Soldaten im Hyde Park und holte sich von Oberst Cranbrough die Erlaubnis, sich über Mittag von der Truppe zu entfernen. Den Rest des Vormittags zerbrach er sich den Kopf über Vaters Nachricht. Seine schlechte Laune übertrug sich auf seine Leute und machte sogar die Pferde nervös.
Die Kirchenglocken schlugen zwölf, als er das Lagerhaus der Jamissons am Themseufer betrat. Die staubige Luft war schwer von aromatischen Gerüchen - nach Zimt und Kaffee, Rum und Portwein, Pfeffer und Orangen. Jay fühlte sich immer in seine Kindheit zurückversetzt, wenn ihm dieser Duft in die Nase stieg. Die Fässer und Teekisten waren ihm damals soviel größer vorgekommen. Aber auch aus einem anderen Grund kam er sich wie ein kleiner Junge vor: Er hatte etwas ausgefressen und wurde nun zum Rapport bestellt. Im Flur erwiderte er die ehrerbietigen Grüße der Angestellten; dann stieg er über die baufällige Holztreppe hinauf ins Kontor. Er durchquerte einen großen Vorraum, in dem die Schreiber und Buchhalter arbeiteten, und betrat das Büro seines Vaters, ein Eckzimmer voller Karten, Werbeplakate und Schiffsbilder.
»Guten Tag, Vater«, sagte er. »Wo ist Robert?« Sein Bruder wich nur selten von seines Vaters Seite.
»Er mußte nach Rochester fahren. Aber die Angelegenheit, um die es hier geht, betrifft mehr dich als ihn. Sir Philip Armstrong möchte mit mir sprechen.«
Armstrong war die rechte Hand des Ministers Viscount Weymouth. Jays Beklommenheit wuchs. Gab es nicht nur Probleme mit seinem Vater, sondern auch mit der Regierung?
»Was will er von dir?«
»Er möchte, daß dieser Kohlestreik aufhört, und weiß, daß wir ihn ausgelöst haben.«
Das hat wenigstens nichts mit Spielschulden zu tun, dachte Jay. Aber seine Besorgnis hielt an.
»Er muß jeden Augenblick hier sein«, fügte Vater hinzu.
»Wieso kommt er her?« Normalerweise bestellten so hochgestellte Persönlichkeiten die Leute, mit denen sie reden wollten, in ihr Büro nach Whitehall.
»Aus Gründen der Geheimhaltung, nehme ich an.«
Ehe Jay weitere Fragen stellen konnte, ging die Tür auf, und Armstrong trat ein. Jay und Sir George erhoben sich. Armstrong war mittelgroß und trug seine Amtstracht mit Perücke und Schwert. Er hielt die Nase ein wenig höher, als wolle er damit zum Ausdruck bringen, daß er gemeinhin nicht in den Sumpf des gewöhnlichen Geschäftslebens hinabstieg. Jay erkannte an der Art, wie Sir George das Gesicht verzog, als er Armstrong die Hand schüttelte und ihn Platz zu nehmen bat, daß sein Vater den hohen Gast nicht leiden konnte.
Armstrong schlug das angebotene Glas Wein aus. »Der Streik muß aufhören«, sagte er. »Die Kohlelöscher haben schon die Hälfte aller Industriebetriebe in London lahmgelegt.«
»Wir haben versucht, die Schiffe von Matrosen entladen zu lassen«, sagte Sir George. »Ein, zwei Tage ging das auch gut.«
»Und warum nicht länger?«
»Weil die Gegenseite sie für sich gewonnen hat, sei es durch Überzeugung, sei es durch Einschüchterung. Jetzt streiken sie auch.«
»Die Bootsführer und Fährleute ebenfalls«, sagte Armstrong gereizt. »Und vor dem Kohlestreik gab es bereits Probleme mit den Schneidern, den Seidenwebern, den Hutmachern und den Sägewerksarbeitern… So geht das nicht weiter.«
»Aber warum sind Sie zu mir gekommen, Sir Philip?«
»Weil Sie meines Wissens einer der ersten Schiffseigner waren, die mit den Kohlelöschern auf Konfrontationskurs gingen und damit den Streik provozierten.«
»Das ist richtig.«
»Darf ich fragen, warum Sie das getan haben?«
Sir George sah Jay an. Der schluckte nervös und sagte: »Ich wurde von den Unternehmern angesprochen, die die Kohlelöschergangs organisieren. Mein Vater und ich wollten die herkömmliche Ordnung an den Docks nicht zerstören lassen.«
»Das sehe ich ein«, sagte Armstrong, und Jay dachte: Nun komm doch endlich zur Sache! »Kennen Sie die Rädelsführer?« fragte Sir Philip.
»Das will ich meinen!« erwiderte Jay. »Der wichtigste Mann heißt Malachi McAsh und wird Mack genannt. Wie es der Zufall will, war er früher Hauer im Kohlebergwerk meines Vaters.«
»Ich möchte, daß dieser McAsh verhaftet und nach dem Aufruhrgesetz von 1714 eines Kapitalverbrechens angeklagt wird. Die Anklage muß allerdings gut begründet sein: Keine
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