Die Brücken Der Freiheit: Roman
einem anderen Kaffeehaus blicken, und irgendwie erfahren es seine Kumpane rechtzeitig. Er erteilt seine Befehle und löst sich wieder in Luft auf. Bis zum nächsten Morgen.«
»Irgend jemand muß doch wissen, wo er pennt«, jammerte Jay. »Wenn wir ihn erwischen, ist der Streik vorbei.«
Lennox nickte. Niemandem war so sehr an einer Niederlage der Kohlelöscher gelegen wie ihm. »Caspar Gordonson wird es schon wissen«, sagte er.
Jay schüttelte den Kopf. »Das nützt uns nichts. Hat McAsh eine Frau?«
»Ja - Cora. Aber die ist zäh wie Rindsleder. Die schweigt wie ein Grab.«
»Es muß doch noch andere geben.«
»Da wäre noch dieses Kind«, sagte Lennox nachdenklich.
»Welches Kind?«
»Quick Peg. Sie und Cora klauen zusammen. Ich frage mich, ob…«
Gegen Mitternacht wimmelte es in Lord Archers Kaffeehaus von Offizieren, Gentlemen und Huren. Die Luft war voller Tabakrauch, und es stank nach verschüttetem Wein. In einer Ecke stand ein Fiedler und spielte, aber seine Musik wurde von Hunderten lauter Gespräche weitgehend übertönt.
An einigen Tischen flogen die Karten. Jay beteiligte sich allerdings nicht am Spiel. Er trank. Anfangs hatte er den Betrunkenen bloß spielen wollen und sich den Inhalt seiner Brandygläser größtenteils über die Weste gekippt. Später war dann aber doch immer mehr Brandy in seine Kehle geflossen, so daß ihm der wackelige Stand eines Betrunkenen inzwischen kaum noch schauspielerisches Geschick abverlangte. Chip Marlborough hatte von Beginn an richtig getrunken, doch ihm schien der Alkohol ohnehin nie etwas anzuhaben.
Jay hatte zu viele Sorgen, um sich zu amüsieren. Er mußte seinem Vater McAshs Adresse präsentieren. Jay hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt, sich eine auszudenken und dann zu behaupten, daß der Gesuchte im letzten Moment doch wieder entkommen war. Doch er wußte genau, daß sich sein Vater nur schwer hinters Licht führen ließ.
Und so hockte er nun im Lord Archer und hoffte darauf, Cora zu begegnen. Mehrere Mädchen hatten ihn im Laufe des Abends bereits angesprochen, aber keines von ihnen paßte zu Coras Beschreibung: ungefähr neunzehn oder zwanzig Jahre alt, bildhübsch, flammendrotes Haar. Mit allen Mädchen hatten er und Chip geflirtet, bis die Betroffenen merkten, daß die beiden es nicht ernst meinten, und sich wieder trollten. Am anderen Ende der Schankstube saß Sidney Lennox. Er rauchte eine Pfeife, beteiligte sich mit geringem Einsatz an einem Pharao-Spiel und behielt dabei das Geschehen in der Kneipe stets im Auge.
Jay hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. In Covent Garden gab es Hunderte von Mädchen. Wahrscheinlich würden sie es morgen oder sogar übermorgen noch einmal versuchen müssen, ehe Cora ihnen über den Weg lief. Und zu Hause saß seine Frau und begriff nicht, warum er seine Abende an einem Ort verbringen mußte, um den anständige Damen einen weiten Bogen machten.
Er malte sich gerade aus, wie schön es wäre, zu einer erwartungsvoll seiner harrenden Lizzie ins warme Bett zu steigen, als Cora die Schankstube betrat.
Jay hatte keine Zweifel, daß sie die richtige war. Sie war mit Abstand das hübscheste Mädchen im Raum, und die Farbe ihrer Haare war tatsächlich die gleiche wie die der Flammen im Kamin. Ihre Aufmachung entsprach der einer Hure: Sie trug ein tief ausgeschnittenes Seidenkleid und rote Schnallenschuhe, und die Art, wie sie sich in der Schankstube umsah, verriet professionelle Erfahrung.
Jay schaute zu Lennox hinüber. Der Wirt nickte langsam, einmal, zweimal.
Gott sei Dank, dachte Jay, wandte sich wieder Cora zu und lächelte sie an. Als sie ihn bemerkte und zurücklächelte, war ihm, als grüße sie einen Bekannten. Weiß sie etwa, wer ich bin, dachte er. Er war nervös und sagte sich, daß er nichts weiter zu tun hatte, als freundlich zu ihr zu sein. Er hatte schon hundert Frauen becirct und wußte, wie er es anzustellen hatte.
Schon war sie bei ihnen. Jay küßte ihr die Hand. Sie roch nach einem betörenden Parfüm mit Sandelholzduft. »Ich war eigentlich der Meinung, daß ich schon alle schönen Frauen Londons kenne, doch ich habe mich geirrt«, sagte er galant. »Meine Name ist Hauptmann Jonathan. Dies hier ist Hauptmann Chip.« Er hatte beschlossen, einen Decknamen zu benutzen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß Mack ihr von Jay Jamisson erzählt hatte. Wenn sie wußte, wer er war, würde sie sofort mißtrauisch werden.
»Ich bin Cora«, sagte sie und musterte die beiden jungen
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