Die Brücken Der Freiheit: Roman
falschen Vorwürfe oder bestochene Zeugen! Wir brauchen einen echten Aufruhr, der für jedermann sichtbar von streikenden Arbeitern angeführt wird. Sie müssen mit Feuerwaffen gegen die Offiziere der Krone vorgehen. Wir brauchen Tote und Verwundete.«
Jay verstand das nicht. Soll das heißen, daß ich so einen Aufruhr organisieren soll? dachte er.
Sein Vater hatte keine Verständnisprobleme. »Sie haben sich sehr deutlich ausgedrückt, Sir Philip.« Er wandte sich an seinen Sohn: »Kennst du McAshs Aufenthaltsort?«
»Nein«, erwiderte Jay. Doch als er sah, daß Sir George verächtlich die Stirn runzelte, fügte er hastig hinzu: »Aber ich kann ihn bestimmt herausfinden.«
Im Morgengrauen weckte Mack Cora und liebte sie. Sie war irgendwann in den Stunden nach Mitternacht ins Bett gekommen und hatte stark nach Tabak gerochen. Mack hatte sie geküßt und war gleich darauf wieder eingeschlafen.
Jetzt war er hellwach und Cora schlaftrunken. Ihr Körper war warm und entspannt, ihre Haut weich, ihr rotes Haar verstrubbelt. Sie hatte die Arme locker um ihn geschlungen und stöhnte leise. Zum Schluß stieß sie einen kleinen Lustschrei aus - und schlief wieder ein. Mack betrachtete sie. Ihr Gesicht war von vollendeter Schönheit - zierlich, rosa und regelmäßig. Aber ihr Lebenswandel bekümmerte ihn immer mehr. Daß sie sich eines Kindes als Komplizin bediente, empfand er als Herzlosigkeit, doch wenn er mit ihr darüber sprechen wollte, wurde sie böse und sagte, er mache sich ebenfalls schuldig, denn schließlich lebe er bei ihr mietfrei und ernähre sich von Lebensmitteln, die sie mit ihrem auf unehrenhafte Weise erworbenen Geld bezahlt habe.
Er seufzte und stand auf.
Coras Wohnung lag im Oberstock eines baufälligen Hauses auf dem Gelände einer Kohlehandlung. Einst hatte der Händler selbst dort gewohnt, doch dann war er zu Wohlstand gekommen und umgezogen. Inzwischen hatte er im Erdgeschoß ein Büro eingerichtet und das Obergeschoß an Cora vermietet.
Die Wohnung hatte zwei Zimmer. In einem stand ein großes Bett, im anderen ein Tisch mit mehreren Stühlen. Ansonsten enthielt das Schlafzimmer Coras Garderobe, für die sie alles Geld ausgab, das sie erübrigen konnte. Esther und Annie hatten je zwei Kleider besessen, eines für die Arbeit und eines für sonntags. Cora dagegen verfügte über acht oder zehn verschiedene Kombinationen, alle in lebhaften, auffälligen Farben: gelb, rot, knallgrün und sattbraun. Zu jedem Kleid hatte sie die passenden Schuhe, und ihr Vorrat an Strümpfen, Handschuhen und Taschentüchern entsprach dem einer feinen Dame.
Mack wusch sich das Gesicht, zog sich rasch an und ging. Ein paar Minuten später war er bei Dermot, dessen Familie gerade am Frühstückstisch saß und ihren Porridge löffelte. Mack begrüßte die Kinder mit einem Lächeln. Jedesmal wenn er Coras ›Kondom‹ benutzte, fragte er sich, ob er eines Tages auch Kinder haben würde. Manchmal wünschte er sich ein Kind von Cora, doch wenn er dann an ihren Lebenswandel dachte, änderte er jedesmal wieder seine Meinung.
Mack schlug die ihm angebotene Portion Porridge aus, weil er wußte, daß Dermots Familie im Grunde nichts erübrigen konnte. Genauso wie Mack lebte Dermot von einer Frau: Bridget arbeitete abends als Spülerin in einem Kaffeehaus; Dermot kümmerte sich unterdessen um die Kinder.
»Du hast Post«, sagte Dermot und reichte ihm einen verschlossenen Brief.
Mack erkannte die Handschrift. Sie war fast identisch mit der seinen. Der Brief stammte von Esther. Mack schlug sofort das Gewissen. Eigentlich sollte er Geld für Esther zurücklegen; Tatsache war jedoch, daß er streikte und keinen Penny für sie übrig hatte.
»Wo sehen wir uns heute?« fragte Dermot. Mack und seine engsten Mitarbeiter trafen sich jeden Tag an einem anderen Ort.
»Im Hinterzimmer der Schenke Zur Königin«, antwortete Mack.
»Ich sag's den anderen.« Dermot setzte seinen Hut auf und ging.
Mack öffnete den Brief und las. Annie war schwanger. Wenn es ein Junge wäre, wollten sie ihn Mack nennen. Ohne daß er hätte sagen können warum, stiegen Mack sofort die Tränen in die Augen. Die Jamissons waren dabei, auf dem Gelände von High Glen eine neue Kohlegrube zu eröffnen. Die Arbeiten gingen zügig voran, und schon in ein paar Tagen sollte Esther dort als Trägerin anfangen. Für Mack war dies eine unerwartete Nachricht, schließlich hatte er selbst gehört, wie Lizzie Hallim gesagt hatte, daß sie einer Kohleförderung auf
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