Die Brücken Der Freiheit: Roman
angegriffen!«
»Wir gehen das jetzt einmal Schritt für Schritt durch.«
Mack holte tief Luft und schluckte seinen Ärger hinunter.
»Meinetwegen«, sagte er.
»Der Ankläger wird ganz einfach sagen: ›Das Aufruhrgesetz wurde verlesen. Der Angeklagte hat sich daraufhin nicht entfernt, also ist er schuldig und muß gehängt werden.‹«
»Ja, aber jeder weiß, daß das nur die halbe Wahrheit ist!«
»Genau! Das ist Ihre Verteidigung. Sie sagen dem Gericht, daß der Ankläger die Hälfte der Geschichte unterschlägt. Haben Sie Zeugen, die bestätigen können, daß Sie sich bei Ihren Leuten dafür eingesetzt haben, sich zu zerstreuen?«
»Natürlich. Dermot Riley kann sicher einen ganzen Haufen Kohlelöscher zusammentrommeln, die das bestätigen werden. Aber wir sollten die Jamissons auch fragen, warum ausgerechnet um diese Zeit, mitten in der Nacht, Kohle angeliefert wurde. Und ausgerechnet an diesem Depot!«
»Nun…«
Erregt schlug Mack mit der Faust auf den Tisch. »Der ganze Aufruhr war von vornherein geplant! Das müssen wir sagen!«
»Nur dürfte sich das schwerlich beweisen lassen.«
Gordonsons ablehnende Haltung erboste Mack. »Hinter dem Aufruhr steckt eine Verschwörung! Das werden Sie doch nicht einfach übergehen, oder? Wenn die Tatsachen vor Gericht nicht aufgedeckt werden - wo dann?«
»Kommen Sie auch zu der Gerichtsverhandlung, Mr. Gordonson?« fragte Peg.
»Ja, aber es kann gut sein, daß der Richter mir nicht das Wort erteilt.«
»Warum denn nicht, um Gottes willen?« fragte Mack empört.
»Man geht davon aus, daß sich die Unschuld eines Beklagten auch ohne Rechtsbeistand beweisen läßt. Aber manchmal weichen die Richter von dieser Regel ab.«
»Ich hoffe, wir bekommen einen Richter, der uns gewogen ist«, sagte Mack bedrückt.
»Der Richter sollte dem Angeklagten eigentlich helfen. Es ist seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß den Geschworenen die entlastenden Argumente klar vor Augen stehen. Nur darf man sich leider nicht darauf verlassen. Vertrauen Sie nur der reinen Wahrheit. Nur sie kann Sie jetzt noch vor dem Henker retten.«
Kapitel 1 2
AM TAG DER GERICHTSVERHANDLUNG wurden die Gefangenen um fünf Uhr morgens geweckt.
Ein paar Minuten später traf Dermot Riley ein und stellte Mack leihweise seinen Hochzeitsanzug zur Verfügung. Mack war tief gerührt. Außerdem hatte Dermot ein Rasiermesser und ein Stück Seife mitgebracht. Eine halbe Stunde später sah Mack durchaus manierlich aus und war bereit, dem Richter gegenüberzutreten.
Er, Cora, Peg und fünfzehn oder zwanzig andere Angeklagte wurden gefesselt aus dem Gefängnis geführt. Ihr Marsch führte durch die Newgate Street bis zu einer Nebenstraße namens Old Bailey und von dort durch eine kleine Gasse zum Sitzungsgebäude, wo Caspar Gordonson schon auf ihn wartete.
Der Anwalt erklärte ihm die Funktionen der anwesenden Persönlichkeiten. Auf dem Hof vor dem Gebäude drängten sich bereits die Menschen: Ankläger, Zeugen, Geschworene, Advokaten, Freunde und Verwandte, Gaffer und vermutlich auch Huren und Diebe, die auf einen guten Fang hofften.
Die Gefangenen wurden über den Hof geführt und gelangten durch ein Tor in den Anklageraum. Er war bereits zur Hälfte mit Angeklagten aus anderen Gefängnissen gefüllt. Mack konnte jetzt das eindrucksvolle Sitzungsgebäude überblicken: Eine Steintreppe führte ins Erdgeschoß, das auf einer Seite offenstand und von einer Säulenreihe gesäumt war. Innen befand sich, deutlich erhöht, die Richterbank, rechts und links davon sah man die mit Geländern begrenzten Geschworenenplätze sowie kleine Logen für Gerichtsbeamte und privilegierte Zuschauer.
Die Szenerie erinnerte Mack an ein Theater - und er selbst war der Schurke im Stück.
Mit bitterer Faszination beobachtete er den Beginn des langen Prozeßtags. Erste Angeklagte war eine Frau, die laut Anklage dreizehneinhalb Meter billigen Tuchs gestohlen hatte. Ankläger war der betroffene Ladenbesitzer. Er bezifferte den Wert des Diebesguts auf fünfzehn Shilling.
Der Zeuge, ein Angestellter, sagte unter Eid aus, daß die Beklagte die Stoffrolle an sich genommen habe und zur Tür gegangen sei. Als sie merkte, daß sie beobachtet wurde, habe sie das Material fallen lassen und sei geflohen. Die Frau behauptete, sie habe den Stoff nur angesehen und nie im Sinn gehabt, ihn zu stehlen.
Die Geschworenen steckten die Köpfe zusammen. Sie entstammten alle der Mittelklasse, waren kleine Kaufleute, wohlhabende Handwerker und
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