Die Brücken Der Freiheit: Roman
oben an Deck war auch in ihrem Verlies zu hören. »Peilung fünfunddreißig Faden, Captain Sand und Ried!«
Die Mannschaft applaudierte lauthals. »Was ist ein Faden?« fragte Peg.
»Sechs Fuß Wassertiefe«, erklärte Mack müde, aber erleichtert. »Es bedeutet, daß wir uns dem Land nähern.«
Er hatte kaum noch damit gerechnet, daß er es schaffen würde. Fünfundzwanzig Gefangene waren während der Überfahrt gestorben, obwohl sie nicht hatten hungern müssen: Lizzie war zwar nicht wieder im Gefangenendeck erschienen, hatte aber offenbar ihr Versprechen eingehalten und dafür gesorgt, daß es genug zu essen und zu trinken gab. Das Trinkwasser war freilich dreckig und abgestanden und die nur aus Pökelfleisch und Brot bestehende Verpflegung so eintönig gewesen, daß man auf die Dauer unweigerlich krank davon wurde. Alle Sträflinge waren von jener Krankheit heimgesucht worden, die mal als Hospital-und mal als Gefängnisseuche bezeichnet wurde. Mad Barney war das erste Opfer gewesen: Die Alten starben am schnellsten.
Einzige Todesursache war die Krankheit allerdings nicht.
Fünf Menschen waren während eines furchtbaren Sturms ums Leben gekommen. Die Gefangenen waren hilflos hin- und hergeworfen worden, und einige von ihnen hatten sich und anderen mit den Eisenketten schwere Verletzungen zugefügt, die für manche tödliche Folgen hatte.
Peg, schon immer mager, war nur noch Haut und Knochen. Cora war sichtlich gealtert. Selbst im Halbdunkel des Laderaums konnte Mack sehen, daß ihr die Haare ausfielen. Ihr Gesicht war verhärmt und der einst so üppige Körper hager und von Geschwüren entstellt. Mack war heilfroh, daß die beiden überhaupt noch am Leben waren.
Etwas später hörte er eine weitere Peilung: »Achtzehn Faden und weißer Sand.« Beim nächsten mal waren es nur noch »dreizehn Faden und Muscheln« - und dann endlich ertönte der Ruf: »Land ahoi!«
Trotz seiner Schwäche wäre Mack am liebsten an Deck gegangen. Das ist Amerika, dachte er. Ich habe das andere Ende der Welt erreicht und bin noch am Leben. Wie gerne würde ich jetzt Amerika sehen!
In dieser Nacht ankerte die Rosebud in ruhigem Wasser. Der Matrose, der den Gefangenen ihre Rationen an Pökelfleisch und abgestandenem Wasser brachte, war eines der freundlicheren Crewmitglieder. Er hieß Ezekiel Bell und sah arg verunstaltet aus: Ein Ohr fehlte ihm, sein Schädel war absolut kahl, und er hatte einen hühnereigroßen Kropf. Sein Spitzname »Beau Bell« war nackter Hohn. Er verriet den Gefangenen, daß sie vor Kap Henry, unweit von Hampton in Virginia, lagen.
Am nächsten Tag verließ das Schiff seinen Ankerplatz nicht. Verärgert fragte sich Mack, was hinter der Verzögerung stecken mochte. Irgend jemand mußte an Land gegangen sein und Proviant eingekauft haben, denn am Abend drang der Geruch von frischem Röstfleisch aus der Kombüse in den Laderaum und ließ den Gefangenen das Wasser im Munde zusammenlaufen. Es war eine Folter, die bei Mack Magenkrämpfe hervorrief.
»Was passiert in Virginia eigentlich mit uns, Mack?« fragte Peg.
»Man wird uns verkaufen, und wir werden für den Käufer arbeiten müssen.«
»Werden wir zusammen verkauft werden?«
Mack wußte, daß die Chancen dafür gering waren, behielt es aber für sich. »Möglich«, sagte er. »Hoffen wir aufs Beste.«
Peg brauchte eine Weile, bis sie das akzeptiert hatte. Als sie weitersprach, lag Furcht in ihrer Stimme: »Und wer wird uns kaufen?«
»Farmer, Plantagenbesitzer, Hausfrauen - irgend jemand, der Arbeitskräfte braucht und nicht viel dafür bezahlen will.«
»Vielleicht gibt es ja jemanden, der uns alle drei will.«
Wer würde schon einen Bergarbeiter und zwei Diebinnen haben wollen? »Vielleicht werden wir ja auch von Leuten gekauft, die nahe beieinander wohnen«, sagte Mack.
»Und was für Arbeit wird das sein?«
»Alles, was man uns anschafft, denke ich: Arbeit auf der Farm, Saubermachen, Bauarbeiten…«
»Dann sind wir also praktisch Sklaven?«
»Aber nur sieben Jahre lang.«
»Sieben Jahre!« wiederholte Peg enttäuscht. »Dann bin ich ja längst erwachsen.«
»Und ich bin fast dreißig«, sagte Mack. Das kam ihm schon ziemlich alt vor.
»Werden sie uns schlagen?«
»Nicht, wenn wir hart arbeiten und den Mund halten«, sagte Mack, obwohl er genau wußte, daß ein einfaches Ja die richtige Antwort gewesen wäre.
»Und wer bekommt das Geld, das für uns bezahlt wird?«
»Sir George Jamisson.« Müde vom Fieber setzte er ungeduldig
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