Die Brücken Der Freiheit: Roman
hinzu: »Die Hälfte dieser verdammten Fragen hast du mir doch schon ein paarmal gestellt.«
Verletzt wandte Peg sich von ihm ab, und Cora sagte: »Sie macht sich Sorgen, Mack - deshalb stellt sie dauernd dieselben Fragen.«
Ich mache mir auch Sorgen, dachte Mack unglücklich.
»Ich will nicht nach Virginia«, sagte Peg. »Ich will, daß diese Reise immer weitergeht.«
Cora lachte bitter. »Dir gefällt dieses Leben wohl, wie?«
»Es ist, als ob ich eine Mutter und einen Vater hätte«, erwiderte Peg.
Cora nahm die Kleine in den Arm und drückte sie an sich.
Am nächsten Morgen lichtete das Schiff den Anker, und Mack spürte, wie es vor einem kräftigen, günstigen Wind dahinrauschte. Am Abend erfuhr er, daß sie kurz vor der Mündung des Rappahannock River lagen. Dort verloren sie wegen widriger Winde zwei Tage, bevor sie ihre Fahrt flußaufwärts fortsetzen konnten.
Macks Fieber war zurückgegangen. Er war daher stark genug, um an einem der regelmäßigen Deckgänge teilzunehmen. So sah er zum erstenmal Amerika.
Die Ufer des Flusses waren von dichten Wäldern und bebauten Feldern gesäumt. Gelegentlich sah man einen Landungssteg in den Fluß ragen, und dort stand dann immer, jenseits der gerodeten Uferböschung und einer ansteigenden Rasenfläche, ein großes Haus. In der Nähe der Landungsstege sah Mack jene riesigen Fässer, die als »Schweinsköpfe« bekannt waren und zum Tabaktransport dienten. Im Londoner Hafen hatte er einmal die Entladung dieser Fässer beobachtet. Jetzt wunderte er sich, wie sie die gefährliche, rauhe Atlantikreise unbeschädigt überstehen konnten.
Ihm fiel auf, daß die meisten Menschen auf den Feldern Schwarze waren. Pferde und Hunde sahen so aus wie zu Hause, während er die Vögel, die sich hin und wieder auf der Reling niederließen, noch nie gesehen hatte. Auf dem Fluß herrschte reger Verkehr. Neben einigen Handelsschiffen von der Größe der Rosebud waren auch viele kleinere Boote unterwegs.
Der erste Eindruck sollte für die nächsten vier Tage auch der einzige bleiben. Wieder auf seiner Pritsche im Laderaum, behielt Mack das Bild in seinem Gedächtnis und hütete es wie einen Schatz: Er sah den Sonnenschein vor sich, die Menschen, die draußen in der frischen Luft hin und her liefen, die Wälder, die grünen Wiesen und Rasenflächen… Die Sehnsucht, endlich die Rosebud verlassen, an Land gehen und frische Luft atmen zu können, war wie ein Schmerz.
Als das Schiff endlich wieder Anker warf, erfuhren die Sträflinge, daß man Fredericksburg erreicht habe, das Ziel der Reise. Sie waren acht Wochen lang unterwegs gewesen.
Am Abend bekamen sie erstmals wieder gekochtes Essen: einen Eintopf mit Schweinefleisch, Mais und Kartoffeln, dazu eine Scheibe frisches Brot und einen Krug Ale. Die ungewohnt reiche Kost und das starke Bier bekamen Mack nicht. Die ganze Nacht über war ihm übel, und er hatte einen schweren Kopf.
Am nächsten Morgen wurden sie in Zehnergruppen an Deck gebracht und sahen Fredericksburg.
Die Rosebud ankerte in einem schlammigen Fluß, in dessen Mitte mehrere Inseln lagen. Hinter dem schmalen Sandstrand und einem bewaldeten Uferstreifen führte eine kurzer, steiler Anstieg zur Stadt hinauf, die um einen großen Felsvorsprung herum errichtet war. Ein paar hundert Menschen mochten hier leben. Der Ort war demnach nicht viel größer als Macks Heimatdorf Heugh, machte jedoch den Eindruck einer freundlichen, wohlhabenden Gemeinde. Die Häuser waren aus Holz und weiß und grün gestrichen. Ein Stück weiter flußaufwärts lag auf dem anderen Ufer ein weiteres Städtchen, das, wie Mack erfuhr, Falmouth hieß.
Auch bei Fredericksburg war der Fluß vielbefahren. Zwei Schiffe in der Größenordnung der Rosebud waren zu sehen, dazu mehrere Küstenschiffe und Flachboote sowie eine zwischen den beiden Städten hin und her pendelnde Fähre.Überall am Ufer sah man Menschen bei der Arbeit. Sie rollten Fässer und trugen Kisten in die Speicherhäuser hinein oder aus ihnen heraus.
Die Sträflinge bekamen Seife und wurden aufgefordert, sich zu waschen. Ein Barbier kam an Bord, schnitt ihnen die Haare und rasierte sie. Diejenigen, deren Kleidung so zerschlissen war, daß sie gegen die guten Sitten verstieß, erhielten Ersatzkleider. Ihre Dankbarkeit hielt sich jedoch in Grenzen, als sie erkannten, daß es sich dabei um die Kleider der während der Reise Verstorbenen handelte. Mack bekam Mad Barneys verlausten Mantel. Er hängte ihn über ein Geländer und
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