Die Brücken Der Freiheit: Roman
nicht ein einziges Mal auf Rob Roy reiten lassen. Wenn er selbst nicht reiten wollte, ließ er das Pony von einem Stallknecht bewegen. Ich stand dabei und durfte zusehen.«
»Aber du konntest ja die anderen Tiere reiten.«
»Als ich zehn war, hatte ich alle Pferde geritten, die bei uns im Stall standen, sogar Vaters Jagdpferde. Nur Rob Roy nicht.«
»Gehen wir doch ein paar Schritt«, schlug seine Mutter vor. Sie trug eine pelzverbrämte Jacke mit Kapuze, Jay einen karierten Mantel. Gemeinsam schritten sie über den Rasen. Unter ihren Füßen knirschte das bereifte Gras.
»Was hat meinen Vater nur dazu gebracht?« fragte Jay. »Warum haßt er mich?«
Alicia berührte seine Wange. »Er haßt dich nicht«, sagte sie.
»Obwohl es entschuldbar ist, daß du dir das einbildest.«
»Und warum behandelt er mich dann so miserabel?«
»Dein Vater, Jay, war ein armer Mann, als er damals Olivia Drome heiratete. Er war nur ein kleiner Krämer in einem Edinburgher Armenviertel. Dieses Herrenhaus hier - ›Schloß Jamisson‹, wie es jetzt heißt - gehörte William Drome, einem entfernten Vetter von Olivia. William war ein Junggeselle ohne Anhang, und als er erkrankte, kam Olivia hierher und kümmerte sich um ihn. Aus Dankbarkeit änderte er sein Testament und machte Olivia zur Alleinerbin - und dann starb er trotz der Pflege, die sie ihm angedeihen ließ.«
Jay nickte. »Ich habe diese Geschichte schon mehrmals gehört.«
»Tatsache ist, daß dein Vater das Gefühl hat, dieses Gut gehöre in Wirklichkeit Olivia. Es ist die Grundlage seines Geschäftsimperiums - und vor allem: Der Bergbau ist nach wie vor der profitabelste Zweig seiner Unternehmungen.«
»Ja, er bedeutet ein sicheres Einkommen«, bestätigte Jay, dem das Gespräch vom Vorabend einfiel. »Die Reederei ist unsicher und riskant, aber die Kohle läuft und läuft…«
»Wie dem auch sei«, fuhr seine Mutter fort, »dein Vater glaubt jedenfalls, daß er alles, was ihm gehört, Olivia verdankt und daß es eine Art Beleidigung ihres Andenkens wäre, wenn er dir davon etwas vermachen würde.«
Jay schüttelte den Kopf. »Da muß mehr dahinterstecken«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, wir kennen noch nicht die ganze Geschichte.«
»Möglich. Aber ich habe dir alles erzählt, was ich weiß.«
Sie kehrten um und gingen schweigend zurück. Jay fragte sich, ob seine Eltern noch miteinander schliefen, und kam zu einer wenig erfreulichen Schlußfolgerung: Ja, wahrscheinlich. Ob sie mich liebt oder nicht, würde sein Vater denken, sie ist meine Frau, und sie hat mir daher zur Verfügung zu stehen, wenn mir der Sinn danach ist… Die Vorstellung war Jay sehr unangenehm.
Als sie die Schloßtore erreic hten, sagte seine Mutter: »Ich habe die ganze Nacht hin und her überlegt und nach einer Lösung gesucht, mit der du leben kannst. Bisher ist mir noch keine eingefallen. Aber verzage nicht - es wird sich eine finden!«
Jay hatte sich bisher immer auf das Durchsetzungsvermögen seiner Mutter verlassen können. Sie wußte, wie man mit Sir George umgehen mußte, wenn man was von ihm wollte. Es war ihr ja sogar gelungen, ihn zur Begleichung der Spielschulden zu bewegen. Doch diesmal, fürchtete Jay, wird auch sie mir nicht helfen können…
»Vater hat beschlossen, daß ich leer ausgehen soll. Er muß doch gewußt haben, was er mir damit antut. Aber die Würfel sind nun einmal gefallen. Mit Bitten und Betteln änderst du daran auch nichts mehr.«
»An Bitten und Betteln habe ich nicht gedacht«, erwiderte Alicia trocken.
»An was dann?«
»Ich weiß es nicht. Aufgegeben habe ich jedenfalls noch nicht. - Guten Morgen, Miss Hallim!«
Lizzie kam die große Treppe vor dem Eingang herunter. In ihrem Jagdgewand mit schwarzer Fellkappe und kleinen Lederstiefeln sah sie aus wie eine hübsche Elfe. Sie lächelte und freute sich offensichtlich, Jay zu sehen.
»Guten Morgen!«
Ihr Anblick munterte Jay auf. »Begleiten Sie uns?« fragte er.
»Ich lasse mir doch keine Jagd entgehen!«
Daß Frauen mit auf die Jagd gingen, war zwar ungewöhnlich, aber durchaus standesgemäß. So wie er Lizzie kennengelernt hatte, überraschte es Jay kaum, daß sie sich entschlossen hatte, die Männer zu begleiten. »Ausgezeichnet!« rief er. »Ihre Anwesenheit wird einer ansonsten eher ruppigen Männerveranstaltung Stil und Schwung verleihen.«
»Verlassen Sie sich nicht darauf.«
»Ich gehe ins Haus«, sagte Alicia. »Viel Glück auf der Jagd, ihr zwei!«
»Es tut mir so leid, daß
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