Die Brücken Der Freiheit: Roman
finsterer Miene begann er, das Geld auszuzahlen. Der erste, der seinen Lohn erhielt, war Charlie Smith, dann kamen Dermot Riley und Mack. Hinsichtlich der Getränke hielt sich Lennox an die von den drei Männern angegebenen Mengen.
Hoch erfreut kehrte Mack dem Zahltisch den Rücken. Er hatte drei Pfund und neun Shilling bekommen. Selbst wenn er die Hälfte für Esther zurücklegte, blieb ihm noch ein hübsches Sümmchen übrig.
Die anderen Kohlelöscher schätzten ihren Verbrauch an Getränken, und Lennox akzeptierte ihre Angaben. Nur als Sam Potter, ein riesenhafter, feister Bursche aus Cork in Irland, von sich behauptete, nur dreißig Viertel getrunken zu haben, und damit bei den anderen unflätiges Gelächter auslöste, protestierte er. Man einigte sich schließlich auf die dreifache Menge.
Als die Männer und Frauen ihr Geld einsteckten, herrschte allgemeine Jubelstimmung. Einige kamen zu Mack und schlugen ihm anerkennend auf die Schulter, und Bridget Riley küßte ihn sogar. Erst jetzt wurde ihm klar, daß er etwas Außergewöhnliches erreicht hatte, aber er fürchtete auch, daß das Drama noch nicht beendet war. Lennox hatte allzu schnell nachgegeben.
Während der letzte Mann bezahlt wurde, hob Mack Lennox' Pistolen vom Boden auf, blies das Schießpulver aus den Schlössern, so daß sie unbrauchbar waren, und legte sie auf den Tisch.
Lennox nahm die entladenen Pistolen an sich, packte den fast leeren Geldsack und stand auf. Die Gespräche im Raum erstarben. Lennox begab sich in den hinteren Teil des Gebäudes, in dem sich seine Privatwohnung befand. Niemand ließ ihn aus den Augen, als fürchte jeder, er könne sie mit Hilfe eines Tricks doch noch um ihren Lohn bringen. An der Tür drehte sich Lennox noch einmal um: »Geht jetzt nach Hause, alle!« rief er den Kohlelöschern und ihren Familien gehässig zu. »Und untersteht euch, am Montag wieder hier aufzukreuzen. Ich habe keine Arbeit mehr für euch. Ihr seid entlassen.«
In der Nacht konnte Mack vor Sorgen kaum schlafen. Einige Kohlelöscher hatten zwar gemeint, Lennox habe seine Ankündigung am Montag morgen längst vergessen, doch Mack bezweifelte es. Lennox sah nicht aus wie ein Mann, der eine Niederlage widerspruchslos hinnahm, und außerdem würde es ihm nicht schwerfallen, sechzehn andere Arbeiter zu finden.
Es ist meine Schuld, warf er sich vor. Diese Kohlelöscher sind wie die Ochsen - stark, dumm und leicht zu führen. Wenn ich sie nicht dazu ermuntert hätte, hätten sie nie gegen Lennox aufbegehrt. Jetzt liegt es an mir, die Sache wieder in Ordnung zu bringen…
Am frühen Sonntagmorgen stand er auf, ging ins Zimmer nebenan und rüttelte Dermot wach, der neben seiner Frau auf einer Matratze lag. Auf der anderen Zimmerseite schliefen die fünf Kinder.
»Wir müssen bis morgen früh für unseren Trupp Arbeit finden«, sagte Mack.
Dermot stand auf. Bridget blieb liegen und murmelte: »Zieht euch aber was Anständiges an, wenn ihr bei einem Unterne hmer Eindruck machen wollt!« Dermot zog eine alte rote Weste an und lieh Mack das blaue Seidenhalstuch, das er sich einst zur Hochzeit gekauft hatte. Zunächst schauten sie bei Charlie Smith vorbei. Charlie arbeitete schon seit fünf Jahren als Kohlelöscher und kannte Gott und die Welt. Er zog sich seinen besten Blaurock über und schloß sich ihnen an. Gemeinsam gingen sie nach Wapping.
Die unbefestigten, verschlammten Straßen im Hafenviertel waren fast menschenleer. In Hunderten von Londoner Kirchen läuteten die Glocken und riefen die Gläubigen zum Gebet, doch die See-und Schauerleute, die Stauer und Speicherarbeiter blieben größtenteils zu Hause und genossen ihren freien Tag. Das braune Wasser der Themse schwappte träge gegen die verlassenen Kais, und am Ufer tummelten sich unverfroren die Ratten.
Alle Kohlelöschtrupps wurden von Gastwirten organisiert. Zunächst versuchten die drei Männer ihr Glück in der Bratpfanne, nur ein paar Meter von der Sonne entfernt. Der Wirt stand im Hof und kochte einen Schinken. Der Geruch ließ Mack das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Fröhlich begrüßte Charlie den Wirt: »Hallo, Harry, wie geht's?«
Der Mann sah sie mißmutig an. »Was wollt ihr von mir, Jungs, wenn's nicht gerade Bier ist?«
»Arbeit«, antwortete Charlie. »Haben Sie morgen ein Kohleschiff zu entladen?«
»Hab' ich. Und ich hab' auch 'n Trupp, der das macht, vielen Dank.«
Sie gingen. »Was war denn mit dem los?« fragte Dermot. »Hat uns angesehen, als wären wir
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