Die Brücken Der Freiheit: Roman
Kohlelöscher herabzusehen. »Ochsen« hatte er sie in Gedanken geschimpft - jetzt war er selbst der dumme Ochse.
Caspar Gordonson fiel ihm ein, der radikale Anwalt, mit dessen Brief über die gesetzlichen Rechte der Grubenarbeiter alles begonnen hatte. Wenn ich an diesen Gordonson rankäme, würde ich ihm sagen, was solche »gesetzlichen Rechte« wert sind, dachte er.
Das Gesetz nützte offensichtlich nur jenen, die auch über die Macht verfügten, ihm Geltung zu verschaffen. Grubenarbeiter und Kohlelöscher hatten niemanden, der ihnen vor Gericht beistand. Also war es idiotisch von ihnen, auf ihre Rechte zu pochen. Wer gescheit war, pfiff auf Recht und Unrecht und sah zu, wie er seinen Schnitt machte - man brauchte sich Cora, Peg und Buck Delaney ja nur anzusehen.
Er griff nach seinem Bierkrug - und erstarrte mitten in der Bewegung, die den Krug zum Mund führte. Caspar Gordonson lebt doch in London, dachte er. Ich komme an ihn ran, wenn ich will. Er soll mir sagen, was meine gesetzlichen Rechte wert sind… Aber vielleicht springt sogar noch mehr dabei heraus. Vielleicht wird Gordonson unser Anwalt, der Anwalt der Kohlelöscher. Immerhin ist er Advokat und schreibt dauernd über die englische Freiheit: Eigentlich müßte er uns helfen. Es war auf jeden Fall einen Versuch wert.
Der schicksalhafte Brief, den Mack von Caspar Gordonson erhalten hatte, stammte von einer Adresse in der Fleet Street. Der Fleet war ein schmutziger Bach, der am Fuße des Hügels, auf dem die St.-Pauls-Kathedrale stand, in die Themse mündete. Gordonson lebte in einem dreistöckigen Backsteingebäude neben einem großen Gasthaus.
»Der muß Junggeselle sein«, sagte Dermot.
»Wie kommst du denn darauf?« fragte Charlie Smith.
»Dreckige Fenster, die Stufen vor dem Eingang nicht gefegt: ein Haushalt ohne Frau.«
Ein Diener ließ sie herein. Ihre Frage nach Mr. Gordonson hatte ihn nicht überrascht. Als sie eintraten, verließen zwei gutgekleidete Männer das Haus. Sie waren in eine hitzige Diskussion über William Pitt, den Lordsiegelbewahrer, und einen Minister mit Namen Viscount Weymouth vertieft. Ohne ihr Streitgespräch zu unterbrechen, nickte einer von ihnen Mack in geistesabwesender Höflichkeit zu, was diesen sehr verwunderte, denn normalerweise pflegten Gentlemen Angehörige der Unterschicht geflissentlich zu übersehen.
Mack hatte sich das Haus eines Rechtsanwalts als einen Ort voller staubiger Dokumente vorgestellt, wo nur im Flüsterton über streng geheime Dinge geredet wurde und wo das lauteste Geräusch das langsame Kratzen der Federkiele war. Gordonsons Domizil erinnerte dagegen eher an eine Druckerei. Im Flur stapelten sich verschnürte Bündel mit Flugblättern und Zeitschriften. Es roch nach geschnittenem Papier und Druckerschwärze. Der mechanische Lärm aus dem Kellergeschoß ließ vermuten, daß unten eine Druckmaschine lief.
Der Diener ging in ein Zimmer und ließ die drei Männer im Flur davor warten. Mack fragte sich, ob das nicht doch alles wieder nur Zeitverschwendung war. Wer kluge Zeitungsartikel schrieb, machte sich wahrscheinlich nicht die Hände schmutzig, indem er sich mit einfachen Arbeitern einließ. Vielleicht war Gordonsons Interesse für die Freiheit rein theoretischer Natur. Aber Mack wollte nichts unversucht lassen. Er hatte seinen Kohlelöschertrupp zum Aufstand geführt - und nun waren sie alle arbeitslos.
Innen ertönte eine laute, schrille Stimme: »McAsh? Nie gehört! Wer ist das? Sie wissen es nicht? Dann fragen Sie ihn doch! Aber egal…«
Sekunden später erschien ein Mann im Türrahmen. Er trug keine Perücke, so daß man seine Halbglatze sah, und beäugte die drei Kohlelöscher durch dicke Brillengläser. »Ich entsinne mich nicht, Sie jemals gesehen zu haben«, sagte er. »Was wollen Sie von mir?«
Der erste Eindruck war alles andere als ermutigend, aber Mack setzte sich darüber hinweg und sagte vorwitzig: »Sie haben mir kürzlich einen sehr schlechten Rat gegeben. Trotzdem bin ich gekommen, um Sie um einen weiteren zu bitten.«
Es entstand eine Pause, und Mack glaubte schon, Gordonson habe ihm seine Bemerkung übelgenommen. Doch dann lachte der Anwalt laut auf und sagte mit freundlicher Stimme: »Wer sind Sie denn?«
»Malachi McAsh, bekannt als Mack. Ich war Kumpel im Kohlebergwerk von Heugh in der Nähe von Edinburgh, bis ich einen Brief von Ihnen erhielt, in dem Sie mir schrieben, ich sei ein freier Mann.«
Gordonsons Miene hellte sich auf; er wußte Bescheid. »Ja, der
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