Die Brücken Der Freiheit: Roman
können, versetzte ihn in Hochstimmung.
Er hatte Esther, gleich nachdem er bei Dermot eine Bleibe gefunden hatte, geschrieben und inzwischen auch schon Antwort von ihr erhalten. Seine Flucht sei das Gesprächsthema im Tal, hieß es in ihrem Brief. Unter den jüngeren Hauern gebe es einige, die mit einer Petition an das englische Parlament gegen die Sklaverei in den Bergwerken protestieren wollten. Und außerdem habe Annie Jimmy Lee geheiratet… Die letzte Nachricht gab ihm einen kleinen Stich. Mit Annie ist es also aus und vorbei, dachte er. Nie wieder werde ich mit ihr durchs Heidekraut tollen… Doch sei's drum: Jimmy Lee ist ein guter Mann. Vielleicht bringt diese Petition ja die Wende zum Besseren. Vielleicht sind die Kinder von Annie und Jimmy eines Tages frei…
Die letzten Kohlebrocken wurden in Säcken verstaut und die Säcke auf einen Frachtkahn verladen, der sie an Land bringen würde. Mack reckte und streckte seinen schmerzenden Rücken und schulterte die Schaufel. Die kalte Luft an Deck traf ihn wie ein Schlag. Er zog sein Hemd an und legte sich den Pelzumhang um, den Lizzie Hallim ihm geschenkt hatte. Auf dem Kahn mit den letzten vollen Säcken erreichte auch der Löschtrupp das Ufer. Dort angekommen, machten sich die Männer sogleich auf den Weg zur Sonne, wo ihnen ihr Lohn ausbezahlt werden sollte.
Die Sonne war eine wilde Kneipe für See- und Schauerleute. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, Bänke und Tische waren fleckig und ramponiert. Das qualmende Feuer gab nur wenig Wärme. Der Wirt, Sidney Lennox, war ein Spieler, und so war sein Etablissement auch eine Spielhölle: Man würfelte, spielte Karten oder schob nach einem komplizierten Plan Spielmarken über ein Brett. Der einzige Lichtblick an diesem finsteren Ort war die »schwarze Mary«, die afrikanische Köchin, die aus Schellfisch und billigem Fleisch herzhafte Eintopfgerichte kochte, die bei den Gästen sehr beliebt waren.
Mack und Dermot trafen als erste ein. Peg saß mit gekreuzten Beinen in der Bar und rauchte eine Tonpfeife mit Virginia-Tabak. Die Sonne war ihr Zuhause. Sie schlief in einer Ecke der Schankstube auf dem Fußboden. Lennox war nicht nur Unternehmer, sondern auch Hehler, und Peg verkaufte ihm ihr Diebesgut.
Als sie Mack erblickte, spuckte sie ins Feuer und sagte fröhlich: »Hallo, Schotte! Wieder 'n paar Jungfrauen gerettet, he?«
»Nein, heute nicht.« Er grinste.
Das strahlende Gesicht der schwarzen Mary lugte um die Küchentür. »Ochsenschwanzsuppe, Boys?« Sie sprach mit niederländischem Akzent. Es hieß, sie sei früher Sklavin eines holländischen Schiffskapitäns gewesen.
»Für mich zwei Faßvoll, bitte«, rief Mack zurück. »Das genügt!«
Mary lächelte. »Hungrig, was? Schwer gearbeitet?«
»Nur 'n paar Turnübungen, um den Appetit anzuregen«, sagte Dermot.
Mack hatte kein Geld für das Abendessen, doch Lennox gab den Kohlelöschern Kredit und verrechnete diesen mit dem Lohn. Das ist das letzte Mal, dachte Mack. Von jetzt an zahle ich immer bar. Ich will mich nicht verschulden.
Er setzte sich neben Peg. »Na, wie gehen die Geschäfte?« fragte er spöttisch.
Das Mädchen nahm die Frage ernst. »Cora und ich ha'm heut' nachmittag 'n reichen alten Knacker aufgetan, deswegen können wir heut' abend blaumachen.«
Irgendwie seltsam, mit einer Diebin befreundet zu sein, dachte Mack… Aber er wußte, was Peg zur Diebin machte: Ihre Alternative hieß Klauen oder Verhungern. Und doch gab es irgend etwas in ihm, einen Überrest der Einstellung seiner Mutter, der Pegs Lebenswandel nicht billigte.
Peg war klein und schwächlich und knochendürr und hatte hübsche blaue Augen. Aber nach außen hin gab sie sich wie eine hartgesottene Kriminelle, und entsprechend wurde sie von den anderen behandelt. Mack vermutete, daß die Fassade nichts weiter war als eine Art Schutzschild, hinter dem sich ein verschüchtertes kleines Mädchen verbarg, um das sich niemand kümmerte.
Die schwarze Mary brachte ihm seine Suppe, in der auch ein paar Austern schwammen, dazu eine Scheibe Brot und einen Krug Dunkelbier. Wie ein Wolf fiel Mack darüber her.
Allmählich trudelten auch die anderen Kohlelöscher ein. Lennox war nirgends zu sehen, und das war recht ungewöhnlich, denn normalerweise saß er irgendwo an einem Tisch und würfelte mit seinen Kunden oder spielte mit ihnen Karten. Mack hoffte, er würde sich nicht allzu lange Zeit lassen. Er wollte unbedingt wissen, wieviel Geld er in der vergangenen Woche
Weitere Kostenlose Bücher