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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sich nicht ohne Weiteres mit Tauen und der Hilfe einiger Askaris bewegen. Eine elend lange Verspätung wäre die Folge gewesen.
    Der Elefant schien angreifen zu wollen. Er bewegte sich einige Schritte auf sie zu und legte die Ohren an. Jetzt war guter Rat teuer.
    Oscar schoss absichtlich zu hoch, damit die Kugel nur in die dicke Fettschicht auf der Oberseite des Kopfes, aber nicht in das Gehirn eindrang und den Elefanten tötete.
    Der Bulle knickte leicht ein und schwankte verwirrt zur Seite wie ein um Gleichgewicht bemühter Boxer. Dann taumelte er zwei Schritte vorwärts. Gleich würde er davongaloppieren. Oscar schoss erneut auf den Kopf, dieses Mal von der Seite zwischen Auge und Ohr, und hatte Glück. Die Vorwärtsbewegung, die der Bulle begonnen hatte, genügte. Beide Hinterbeine hatten die Gleise verlassen, als er nach vorn und den Bahndamm hinunterkippte. Er lag einige Sekunden still, dann streckte er ein zitterndes Hinterbein in die Luft, wo es stocksteif verharrte. Das war ein unverkennbares Zeichen. Er war tot.
    Oscar musste niemanden um Hilfe bitten, alle, die sich im Zug befunden hatten, waren herbeigestürzt, um zu sehen, was geschehen war. Er befahl, ein paar Äxte zu holen und die schärfsten Panga oder Assagais, dann zeigte er, wie der Schnitt im Halbkreis um den Rüsselansatz herum und dann beidseitig in gerader Linie abwärts ausgeführt werden sollte. Mithilfe der Äxte wurde die gesamte Rüsselpartie abgelöst, in der die Stoßzähne wurzelten. Der unter der
Haut verborgene Teil der Stoßzähne machte bis zu einem Viertel ihres Gewichts aus, unvorsichtige, schlampige Axthiebe waren also nicht angezeigt. Elfenbein war hart, aber spröde, jeder falsche Axthieb konnte den Jahresverdienst eines Askari-Soldaten kosten.
    Die Verspätung betrug nicht mehr als zwanzig Minuten. Das ganze Paket mit den beiden Stoßzähnen und der blutigen Rüsselpartie war auf einen der offenen Güterwagen verladen und festgezurrt worden. Am Himmel waren bereits die Geier zu sehen, und Oscar erteilte den Befehl, das tote Tier an einigen Stellen aufzuhacken, damit sich die Aasfresser nicht durch die fünf Zentimeter dicke Haut kämpfen mussten. Auf diese Weise wäre der Kadaver weitgehend verschwunden, wenn der Zug einen Tag später zurückkehrte. Nur die sauber abgenagten Knochen würden noch übrig sein und kaum noch stinken.
    Er schätzte das Gewicht jedes Stoßzahns, nachdem er versucht hatte, sie mit beiden Händen zu umfassen, auf mehr als hundertvierzig Pfund. Bescheiden gerechnet bedeutete das den dreifachen Jahresverdienst eines einfachen Diplomingenieurs und Brückenbauers.

XI
LAURITZ
    Finse, 1905

    Wenn man eine Weile an den Bauplätzen der Bergenbahn auf der Hardangervidda gearbeitet hatte, verlor man jegliches Zeitgefühl. Im Winter in den Tunneln, dann beim Brückenbau, wieder in den Tunneln und immer so weiter. Die Zeit bewegte sich nicht mehr vorwärts, sondern verwandelte sich in einen einzigen endlosen Moment.
    Eintönig und langweilig war es im Gebirge, das wohl, aber den Bahnarbeitern stand es frei, jederzeit die Hacke niederzulegen und sich nach Hause zu begeben. Das traf im Prinzip auch für Lauritz zu. Es war nicht nur die Pflicht, seine Schuldigkeit, einen Vertrag zu erfüllen, die ihn auf der Hardangervidda hielt. Möglicherweise ebenso schwer wie sein Pflichtgefühl wog der Wunsch, nicht aufzugeben, ehe die Züge fuhren, ehe die Brücke fertig war, bis das Baugerüst endlich abgebaut werden konnte. Dem Vormann Johan Svenske ging es ebenso. Sie hatten sich oft darüber unterhalten. Die Brücke über den Kleivefossen war ihre Brücke, niemand sollte sich kurz vor der Fertigstellung noch einmischen, letzte Hand anlegen und die Ehre einheimsen. Sie würden ihre Brücke nicht im Stich lassen. Sie
war das schwierigste Projekt der gesamten Bahnlinie, das Juwel in der Krone, und würde noch Hunderte von Jahren dastehen, wenn Ingenieur und Vorarbeiter schon lange nicht mehr am Leben waren. Das war ein schwindelerregender Gedanke.
    Das Gerüst war nunmehr stabil, zwei harte Winter hatten ihm dank Lauritz’ Neukonstruktion nichts anhaben können.
    In diesem Sommer wollte man mit dem Steingewölbe beginnen, solide und sicher wie eine riesige Wiege. Zwei Jahre hatten die Vorbereitungen gedauert, aber jetzt war es endlich so weit.
    Anfang Juni richteten sich Johan Svenske und seine Arbeiter in der neuen Baracke ein, die nur wenige Hundert Meter von der Baustelle entfernt an einem Hang lag. Dort bezog auch

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