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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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glücklich machen, indem Sie das sagen?«
    »Das war vermutlich mehr Glück als Geschick, aber warum?«, wollte Oscar wissen.
    »Wie eben schon bemerkt«, meinte Dr. Goldmann und
blies mit erstaunlichem Talent einen großen Rauchring an die Decke, »handelt es sich bei der Juristerei vorwiegend um Moral und gesunden Menschenverstand. Das wollte ich durch Ihren Instinkt beweisen. Und natürlich durch Ihr Rechtsempfinden, das Sie unter Beweis gestellt haben, als Sie sich weigerten, die Gefangenen zu töten. Nun gut. Wollen Sie wissen, was für ein Urteil ich bei diesem Prozess gesprochen habe?«
    »Natürlich, Herr Doktor.«
    »Erst wollte ich die Männer mit den Straußenfedern tatsächlich freisprechen. Rein rechtlich wäre das durchaus möglich gewesen. Aber das hätte Anstoß erregt und dem allgemeinen Rechtsempfinden widersprochen. Ich weiß, das ist ein diffuser Begriff. Trotzdem muss ich als Richter darauf Rücksicht nehmen. Ich entschied mich also für einen Kompromiss und verurteilte die Straußenfedermänner wegen versuchter Plünderung zu einem Jahr Gefängnis. Diesen Vorsatz kann man ihnen nämlich unterstellen. Also, ein Jahr für zwei der Männer. Was halten Sie davon?«
    »Was soll ich schon sagen? Ich werde einem Fachmann auf diesem Gebiet wohl kaum widersprechen können.«
    »Dann kommen wir zu den vier weiteren Angeklagten. Ich habe sie wegen Mordversuchs verurteilt, aber unter Berücksichtigung der mildernden Umstände, die Sie auch akzeptiert haben, nicht zum Tode, sondern zu sechs Jahren Gefängnis. Was halten Sie davon, und zwar nicht als Fachmann, sondern als Mitbürger und Kolonisator, wenn ich bitten darf?«
    »Das scheint mir vernünftig und richtig«, meinte Oscar nachdenklich. »Die Argumente entsprechen dem Gesetz,
und unsere Aufgabe ist es, die Zivilisation zu verbreiten, und dabei geht es nicht nur um Eisenbahnen und das Christentum, sondern in allerhöchstem Grade um ein Gesetz, vor dem alle gleich sind. Ich habe keine Einwände gegen Ihr Urteil, Dr. Goldmann, obwohl ich leider zugeben muss, dass ich davon ausgegangen bin, sie würden zum Tode verurteilt.«
    »Das wurden sie auch, alle sechs sind zum Tode verurteilt worden!«, unterbrach ihn Dr. Goldmann und zog wütend an seiner Zigarre.
    »Entschuldigen Sie, aber haben Sie nicht gerade gesagt …?«
    »Wir waren wie bekannt vier Richter. Ich wurde drei zu eins überstimmt, obwohl eines der geehrten Mitglieder des hohen Gerichts bis zum Schluss zögerte. Das Leben der sechs Männer hing also an einem sehr dünnen Faden. Hätte er sich meinem Votum angeschlossen, dann hätte es zwei zu zwei gestanden, wäre meine Stimme ausschlaggebend gewesen. Das ist leider die hässliche Seite der Rechtsprechung, dass belanglose Argumente schwerer wiegen können als das Gesetz.«
    »Welche belanglosen Argumente?«, fragte Oscar enttäuscht. Im Verlauf des Gesprächs waren seine Sympathien für den alten Herrn, der in mehr als einer Hinsicht aus einer anderen Welt als er selbst kam, immer größer geworden.
    »Ich muss mir etwas die Beine vertreten, das hat mit der Verdauung zu tun«, murmelte Dr. Goldmann, richtete sich mühsam auf und trat in die Mitte des Zimmers. Er hob wie ein Hund ein Bein und ließ die Gase entweichen. Dann ging er mit großen Schritten einige Male vor dem Fenster
auf und ab, während die fernen Blitze ihn wie einen Scherenschnitt erscheinen ließen.
    »Das nennt sich Realpolitik. Das bedeutet, dass es politische Gründe gibt, die schwerer wiegen als beispielsweise Gesetz und Moral. Eine Art Nützlichkeitsphilosophie der zynischen Art. Meine verehrten Beisitzer bei Gericht meinten also, dass ich rein juristisch im Recht sei, wie sie respektvoll anmerkten, aber was die Realpolitik beträfe, irre ich mich. Das bedeutet im Klartext: Die Neger sind noch nicht reif für die wahre deutsche Rechtsordnung. Erst einmal müssen wir für Ruhe und Stabilität sorgen und zu diesem Zwecke Exempel statuieren. Eingeborenenaufstände sind eine mühsame Angelegenheit, darum müssen wir der Negerbevölkerung mit Nachdruck einschärfen, dass die Macht und Herrlichkeit uns alleine gehört. Und jetzt, mein zweifellos moralischer als auch intelligenter Herr Eisenbahnbauer: Was halten Sie von dieser Argumentation?«
    Dazu hatte Oscar nun wirklich nichts zu sagen, zumindest anfänglich nicht, bevor er verstanden hatte, worum es überhaupt ging. Dr. Goldmann war in Rage geraten, nachdem er erneut einige Male mit wehenden Rockschößen im Zimmer auf und

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