Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
gesellen oder einfach weggehen sollte.
Der jüngste Besucher, der Einzige in Lauritz’ Alter, befreite ihn aus dieser Verlegenheit, indem er auf ihn zutrat, ihm jovial einen Arm um die Schultern legte – für Lauritz’ Geschmack etwas zu intim –, ihn ein paar Schritte beiseiteführte und aufforderte, Platz zu nehmen.
»Ich bin Kjetil Haugen«, sagte er. »Wie leicht zu vermuten ist, bin ich der Erbe des einen Teils von Horneman & Haugen. Ich soll Sie übrigens von Oberingenieur Skavlan grüßen. Auf sein Anraten hin haben wir den Ausflug hierher unternommen. Er spricht in den höchsten Tönen von Ihnen.«
»Das freut mich«, erwiderte Lauritz reserviert. »Und wer sind die anderen Herren in deiner Gesellschaft? Entschuldige, aber hier in den Bergen duzen wir uns alle …«
»Das passt mir ausgezeichnet. Die anderen Herren in meiner Gesellschaft sind der Vorstand von Horneman & Haugen. Wir sind hier, um es uns mit eigenen Augen anzusehen.«
»Und zwar was?«
»Was Skavlan erzählt hat, und nicht nur er: dass du der beste Ingenieur der ganzen Bergenbahn bist und eine ganz andere Ausbildung genossen hast als alle anderen. In Dresden, habe ich mir sagen lassen.«
»Ja, ich habe fünf Jahre in Dresden studiert.«
»Begreifst du jetzt, warum wir hier sind?«
»Ich vermute, um euch eine ungewöhnlich interessante Brückenbaustelle anzusehen?«
Dies war zumindest Lauritz’ erster Gedanke. Schließlich handelte es sich in der Tat um einen ungewöhnlich interessanten Bau. Aber die erwartungsvolle Miene des anderen legte nahe, dass es um etwas anderes ging.
Kjetil Haugen sah ungefähr so aus wie er selbst, wenn er an der Küste und in der Zivilisation gelebt hätte. Sie waren gleich alt und hätten Cousins sein können. Oder vielleicht auch nicht, denn Kjetil Haugen sprach den Dialekt der Bergener Oberklasse. Beide stammten sie also aus Westnorwegen, waren aber nicht verwandt, sann Lauritz.
»Die Sache ist die«, fuhr der Bergener fort, »dass wir dir eine Stellung in unserer Firma anbieten wollen. Unsere Direktion besteht aus inzwischen älteren Ingenieuren. In Zukunft werden viele Brücken und Tunnel in Westnorwegen gebaut werden. Ich denke, dass die Firma zwecks Modernisierung Leute wie dich braucht. Sieh dir doch nur unseren überalterten Vorstand an, wie eifrig sie sich unterhalten. Sie sind ganz meiner Meinung, und außerdem habe ich eine Wette gewonnen.«
»Es ist mir unmöglich, meine Arbeit hier vorzeitig abzubrechen«, antwortete Lauritz verbissen.
Der Gedanke, sich irgendwann in der Zukunft, wenn die Züge ganz regulär über die Hardangervidda verkehrten, bei einem Bauunternehmen zu bewerben, war ihm nicht fremd, obwohl er bislang nie weiter als bis zur nächsten Brücke oder bis zum nächsten Tunnel gedacht hatte.
Den anderen bekümmerte seine ablehnende Antwort jedoch nicht.
»Du bist neunundzwanzig Jahre alt, habe ich mir von Skavlan sagen lassen«, fuhr der Erbe fort. »Ich selbst bin erst achtundzwanzig. Die Zukunft liegt vor uns. Aber ich wollte rechtzeitig anfragen, denn wenn diese Eisenbahn fertig ist und alle aus dem Gebirge zurückkehren, dann wird man sich um dich reißen. Wir haben Konkurrenten, und die Möglichkeit, genauer gesagt das Risiko, dass sie uns zuvorkommen könnten, gefällt mir nicht.«
»Und was hast du mir Besonderes anzubieten, damit ich mich nicht von einem Konkurrenten anheuern lasse?«, fragte Lauritz, ohne nachzudenken. Und erkannte im nächsten Augenblick, dass es vielleicht gar nicht so ungeschickt gewesen war.
»Die Teilhaberschaft!«, antwortete Kjetil Haugen blitzschnell.
»Ich soll Teilhaber von Horneman & Haugen werden?«
»Ja. Das macht unseren Vorschlag attraktiver als alles, was dir unsere Konkurrenten anbieten können. Horneman & Haugen ist das älteste, größte und, um es diplomatisch auszudrücken, das erfolgreichste Bauunternehmen in ganz Westnorwegen. Und wir wollen dich. Das macht uns besser und dich reicher.«
»Ich vermute, dass du im Unterschied zu mir kein Ingenieur bist«, meinte Lauritz, um Zeit zu gewinnen.
»Nein, wirklich nicht, ich bin Betriebswirt, ein neuer Beruf, dem die Zukunft gehören wird. Ich kann nicht zeichnen und Winkel ausrechnen, aber mit Geld kenne ich mich aus.«
»Ich verstehe«, erwiderte Lauritz, »um beim Geld zu bleiben, wie viel würde mich meine Teilhaberschaft bei Horneman & Haugen kosten?«
»Wir stellen uns fünfzehntausend Kronen für zwanzig Prozent der Aktien vor. Das ist ein sehr kulanter Preis.
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