Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Lauritz ein kleines Zimmer, um nicht ständig zwischen dem Ingenieurshaus in Hallingskeid, in dem er im Sommer eigentlich wohnte, und der Baustelle hin-und herlaufen zu müssen. Er wollte so viel wie möglich anwesend sein, wenn endlich der Brückenbogen über den Abgrund geschlagen wurde.
Am ersten Arbeitstag wurde das Gerüst vom Schnee befreit, der noch in den Ecken lag, in die die Sonne nicht drang.
Als Nächstes wurden sämtliche Sicherheitsdrahtseile überprüft. Lauritz hatte stur darauf beharrt, dass niemand ungesichert das Gerüst betrat. Zwei Jahre lang hatten sich die Unfälle auf vereinzelte Arm-und Beinbrüche beschränkt; Todesfälle hatte es keine gegeben, und so sollte es auch im dritten Jahr bleiben.
Und so würde auch dieser Sommer vergehen, ohne besondere
Ereignisse, genau wie der vorhergehende Sommer und der kommende. Wenn sie sich dann zu Beginn des Herbstes vor den ersten Schneestürmen zurückziehen mussten, würden sie erstaunt einen letzten Blick zurückwerfen und feststellen, dass dort eine halb fertige Brücke stand.
Aber an diesem Junitag brachen binnen weniger Stunden die Ereignisse mehrerer Jahre über Lauritz herein. Am Abend war er nicht mehr derselbe Mann, der morgens Johan Svenske auf der Baustelle die Hand geschüttelt hatte.
Es begann mit der Ankunft mehrerer Männer in Wanderstiefeln, englischen Tweedjacken, Hemd und Krawatte, die Lauritz auf den ersten Blick für einen Inspektionstrupp aus Myrdal hielt. Sie hatten einen Fotografen dabei, der sich mit Kamera und Stativ abkämpfte.
Es erwies sich, dass die Herrschaften nichts mit der Eisenbahngesellschaft zu tun hatten, sondern mit dem größten Bauunternehmen Bergens, Horneman & Haugen. Seit 1895 hatte diese Firma einige richtig große Projekte durchgeführt. Ihr beeindruckendster Bau, sowohl Geld als auch Zeit betreffend, war der Gravehalstunnel mit einer Länge von 5300 Metern zu einem Preis von 2,8 Millionen Kronen gewesen, und an zweiter Stelle die Bahnstrecke von Opset zum Kleivevand, zehn Kilometer für sechs Millionen Kronen. Ihr Verantwortungsbereich endete also genau dort, wo Lauritz und Johan Svenske ihre Brücke bauten, und jetzt wollten sie sich diese Baustelle wie Touristen ansehen.
Lauritz fand dieses Ansinnen etwas seltsam, sah aber keine Veranlassung, Einwände zu erheben. Er führte die Gesellschaft den Hang hinunter, damit sie das Bauwerk von unten betrachten konnten. In der Tat ein imposanter Anblick, dachte Lauritz, als er seinen soeben eingetroffenen
Kollegen die Brücke zeigte – zumindest ging er davon aus, dass es sich um Kollegen handelte.
Sie wollten ein paar Fotos machen, wuchteten die Kamera auf das Stativ des Fotografen und bauten sich fröhlich davor auf, was Lauritz auf eine spontane Idee brachte. Er fragte, ob man nicht ein Foto von ihm machen könne, das er seiner Verlobten in Deutschland schicken könnte. Alle waren sofort einverstanden.
Anschließend erklommen sie die Leitern des Baugerüsts. Lauritz erläuterte alle Geländer und Sicherheitsleinen und beantwortete Fragen zu seiner neuen Gerüstkonstruktion. Oben angelangt, konnte man sehen, wo sich einmal der Gewölbebogen von einem Hang weit unten bis zu dem höchsten Punkt, an dem sie standen, und dann wieder hinunter zum gegenüberliegenden Hang erstrecken würde. Die Besucher unterhielten sich angeregt, schienen sehr angetan von dem, was sie sahen, und sagten dann etwas von einer Wette. Weitere Fotos wurden gemacht, auch von Lauritz vor dem Abgrund mit meilenweiter Aussicht hinter sich.
Wieder unten angelangt, verlieh Lauritz seinem Bedauern Ausdruck, dass es noch keine richtige Küche gebe und dass er ihnen daher nichts Anständiges anbieten könne. Die ausgelassenen Besucher winkten gelassen ab, sie seien schließlich Norweger, noch dazu bald freie Norweger, was auch immer sie damit meinten, und deswegen hätten sie ihre eigene Verpflegung ins Fjell mitgebracht.
Sie nahmen vor der Baracke Platz und holten den Proviant aus ihren Rucksäcken hervor. Währenddessen unterhielten sie sich angeregt, aber gedämpft und warfen immer wieder Seitenblicke auf Lauritz, die ihn verunsicherten und
in Verlegenheit brachten. Bei näherem Hinsehen wirkten die anderen doch nicht wie Ingenieure, einige ihrer Fragen auf der Baustelle zeugten selbst für Ingenieure, die um 1870 in Kopenhagen studiert hatten, von ungewöhnlicher Naivität. Er selbst hatte zum Imbiss nichts beizutragen und wusste nicht recht, ob er sich aus Höflichkeit zu ihnen
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