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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ab gegangen war. Er kehrte an den Tisch zurück und zog seine dicke Jacke aus, er hatte bereits große Schweißflecken auf dem Hemd. Er bestellte umgehend zwei Flaschen Riesling aus dem Rheingau und zündete seine fast erloschene Zigarre wieder an.
    Das Thema von jetzt an und in den folgenden Stunden lautete: Deutschlands hohe Mission auf dem dunklen Kontinent. Beim Wettlauf nach Afrika sei Deutschland zu spät gekommen. Bismarck sei lange gegen solche Abenteuer
gewesen, weil sie mehr kosteten, als sie einbrächten. Vielleicht hatte er recht, bisher sprach nicht viel für das Gegenteil. Aber das sei nicht die Hauptsache, zentral sei die moralische Verantwortung für die Verbreitung der Zivilisation, darin seien sich vermutlich ein alter Jurist und ein junger Eisenbahnbauer einig. Aber hatte es etwas mit Zivilisation zu tun, wenn Afrikaner hingerichtet wurden, die von Rechts wegen nicht hingerichtet werden sollten? Nein, natürlich nicht. Durch solche Dinge wurde die Zivilisation korrumpiert. Dadurch wurden den Negern falsche Werte vermittelt. Danach war der weiße Mann nach Afrika gekommen, um zu herrschen und zu stehlen, die Unterdrückung einzuführen.
    Dass die englischen Grobiane sich so verhielten, sei eine Sache. Etwas anderes sei von denen schließlich nicht zu erwarten. Aber wenn auch die Deutschen damit begannen, sich wie Imperialisten aufzuführen, dann sei etwas fundamental falsch.
    Für den Bau der Eisenbahnen galten diese Einwände nicht, tröstete sich Oscar. In Afrika drang die Eisenbahn noch vor jeder anderen Zivilisation ins dunkle Herz Afrikas vor. Erst wenn sie fertig war, reisten die Siedler und Missionare bequem nach und brachten die Segnungen der Technik und des modernen Ackerbaus mit sich.
    Dr. Goldmann gab zu, möglicherweise zu optimistisch gewesen zu sein, als er darauf verzichtete, seinen Lebensabend als Professor emeritus im schönen Heidelberg zu genießen, und stattdessen Gesetz und Ordnung in das deutsche Protektorat habe bringen wollen. Ein Land müsse mit Gesetzen aufgebaut werden, hieß es schon vor Hunderten von Jahren bei den nordgermanischen Nachbarn,
und diese Weisheit gelte noch immer. Ohne Gesetz keine Ordnung, kein Land, keine Zivilisation.
    Inzwischen war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher. Todesurteile, die aus realpolitischen Gründen ausgesprochen wurden, waren kein gutes Omen. Es gab Leute, die ihren Zivilisationsauftrag in Afrika offenbar missverstanden hatten.

    Oscar schlief in dieser Nacht schlecht. Es war sehr spät geworden, und die Gesellschaft Dr. Goldmanns war, wenn auch unterhaltsam und inspirierend, der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich gewesen. Sie hatten nicht nur weiteren Wein aus dem Rheingau bestellt, er hatte sich auch die eine oder andere Zigarre aufdrängen lassen. Außerdem gewitterte es, und die feuchtschwüle Hitze verwandelte seine anfangs kühlen und frisch gemangelten Leintücher auf der harten Kapokmatratze in nasse Stoffwülste. Jedes Mal, wenn er einzunicken begann, drängten sich ihm die Hinrichtungsbilder auf. Er sah, wie die sechs Männer in ihren Fußketten auf den Kaiser-Wilhelm-Platz geführt wurden, wo sechs Galgen und ein gut gekleidetes und sensationshungriges Publikum sie erwarteten. Es gelang ihm nicht, diese Bilder zu verdrängen, nicht einmal, als er sich Erlebnisse wie die Löwenjagd oder den Angriff der Kinandi-Krieger auf das Eisenbahnerlager in Erinnerung zu rufen suchte. Die Hinrichtungsbilder überdeckten alles andere.
    Die Dämmerung war eine Befreiung. Sein Zug würde bei Sonnenaufgang abfahren.
    Als er sich im Rasierspiegel anschaute, schämte er sich für seine mitgenommene Erscheinung: blutunterlaufene, umschattete Augen und wirres Haar. Sein schwerer Ölhautmantel
und Südwester würden hoffentlich das Ärgste kaschieren. Eine Rasur wäre ebenfalls hilfreich, da er noch zur Direktion musste, um dort eine ungewöhnlich große Zuweisung neuer Munition sowie Glasperlen und die Post für Dr. Ernst in Empfang zu nehmen, Letztere hoffentlich mit einer guten Nachricht von der deutschen Akademie der Wissenschaften. Der Brief ließ auf sich warten, ein Umstand, der Dr. Ernst jedes Mal von Neuem enttäuschte, wenn er rasch seine Korrespondenz durchschaute.
    Man hatte begonnen, Fahrgäste bis nach Dodoma und Kilimatinde zu transportieren, Bauern mit sperrigem Gepäck von Spaten über gusseiserne Herde bis zu Ziegen und Hühnern. Alle Passagiere sahen gleichermaßen erwartungsvoll dem großen Abenteuer entgegen, das

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