Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
hinunter.
Der Bediente fing ihn in der Halle ab und zeigte ihm den Weg in die Küche. Dort wartete der Baron, der ganz richtig ähnlich gekleidet war, wie es Sverre als Reserve empfohlen hatte.
Die Küche war riesig. Sie wurde von einem gigantischen Tisch mit einer Steinplatte dominiert, auf dem sich Töpfe aus Kupfer und frisches Gemüse drängten. In einer Ecke des Raumes war ein kleiner Alkoven mit vier Fenstern. Dort war für zwei Personen gedeckt.
»Herr Diplomingenieur!«, begrüßte ihn der Baron und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Ich habe die
Neuigkeit gehört. Erster Platz, das ist in Anbetracht der Konkurrenz in Dresden wahrhaftig eine Leistung. Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten, einen Silvaner? Eigene Ernte vom vorletzten Jahr.«
Es kam natürlich nicht infrage, abzulehnen. Anschließend würde er genötigt sein, ein Urteil abzugeben. Glücklicherweise hatte Sverre auch diese Eventualität vorausgesehen, dass man ihm einen sächsischen Wein servieren könnte, und ihm angeraten, zu sagen, er habe einen interessanten, frischen Geschmack, sei aber vielleicht noch etwas jung. Das genüge, um sich in Sachsen den Anschein eines Mannes von Welt zu geben.
Nun wusste er zudem, dass der Wein erst zwei Jahre alt war.
Der Baron hob sein Glas, nachdem sie an dem elegant gedeckten Tisch im Fensteralkoven Platz genommen hatten. Lauritz setzte eine nachdenkliche Miene auf, als er getrunken hatte. Was ihn betraf, hätte es jeder beliebige Weißwein sein können.
Der Baron betrachtete ihn erwartungsvoll, nachdem sie sich zugeprostet hatten.
»Hm«, meinte Lauritz. »Interessanter, frischer Geschmack. Vielleicht noch etwas jung. Aber ich muss wirklich sagen, dass er sehr mundet, obwohl ich kein Weinkenner bin.«
Die erste Hürde war genommen.
»Ich glaube auch, dass dieser Wein erst in zwei Jahren seinen Zenit erreichen wird«, teilte der Baron mit und nahm einen weiteren Schluck, um den Geschmack noch einmal zu prüfen.
Lauritz fühlte sich wie in einem seltsamen Traum, in
einem abgelegenen südöstlichen Winkel des Deutschen Reiches, in einer der kleineren Weinbauregionen, ohne das Renommee, wie es Rhein-und Mosel-oder auch Frankenweine besaßen. Hier würde sich seine Zukunft entscheiden, sein Glück oder Unglück, indem er sich über etwas äußerte, wovon er überhaupt nichts verstand.
Sein Gegenüber war offenbar gut gelaunt, ein Mann Anfang fünfzig, leicht kahlköpfig, mit blauen Augen, der rasch zwischen Jovialität und Eiseskälte wechselte und der die Regeln des Spiels bestimmte. Es blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als zu praktizieren, was man beim Radrennen im Windschatten fahren nannte: Man folgte dem Erstplatzierten ohne eigene Initiative. Erst wenn sich die Ziellinie näherte, unternahm man etwas.
»Ich habe mir das folgendermaßen vorgestellt«, sagte der Baron recht freundlich, nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte. Sogleich eilte ein Bedienter herbei, schenkte nach und zog sich dann blitzschnell zurück, ohne dass ihn der Baron bemerkt zu haben schien. »Da wir nur zu zweit sind und es deshalb nicht ganz so formell sein muss, möchte ich Ihnen ein Gericht servieren, das sich nicht für Frauen eignet: Eisbein mit Knochen. Dazu ein trockener Riesling, wie er leider hier in Sachsen nicht wächst. Also ein Männeressen, nur für den Herrn Diplomingenieur und mich. Sie müssen wissen, dass dieser Alkoven mein Lieblingsplatz hier im Haus ist. Nicht dass Sie glauben, ich wolle Sie kränken, mein verehrter Herr Diplomingenieur, indem ich Ihnen das Essen in der Küche servieren lasse. Ich hoffe, das ist Ihnen recht?«
»Natürlich, vortrefflich, Herr Baron. Ich bin Ihnen sehr
dankbar, dass Sie sich die Zeit für dieses höchst private Gespräch genommen haben …«
»Nur nichts überstürzen, Herr Diplomingenieur!«, unterbrach ihn der Baron. »Ich weiß, warum Sie mit mir sprechen wollen. Meine Tochter Ingeborg hat keinen Zweifel daran gelassen. Aber diese Frage hat vielleicht Zeit, bis wir im Salon Kaffee trinken. Ist Ihnen das recht, Herr Diplomingenieur?«
»Das passt mir natürlich ausgezeichnet, Herr Baron.«
»Sehr gut! Dann wollen wir jetzt dem Essen zusprechen, das Männer genießen können, wenn sich keine Frauenzimmer in der Nähe befinden.«
Warum sollte mit der Frage gewartet werden? Lauritz bewegte sich auf fremdem Terrain, ihm blieb also nichts anderes übrig, als mitzuspielen.
Sie bekamen beide ein riesiges Eisbein mit ein wenig Sauerkraut serviert.
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