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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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in der sie ihr unter großen Aufopferungen verdientes Geld verwahrte.
    »Ich muss Sie noch etwas fragen«, meinte der Polizeibeamte beiläufig. »Hat sie möglicherweise unmittelbar vor ihrem geheimnisvollen Verschwinden Geld von Ihnen erhalten?«
    »Ja. Und das ist es eben, was mich so beunruhigt. Sie könnte beraubt worden sein. Ich habe ihr tausend Mark gegeben!«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Sie konnte das Geld in Gold zu einem fünfzig Prozent höheren Wert eintauschen.«
    »Wie das?«
    »Tja, also, da gab es diesen älteren Kunden, den sie sehr schätzte, zu dem sie aber keine … Beziehung mehr pflegte. Er wollte ihr einen besonderen Rabatt einräumen. Das hatte etwas mit der Buchführung seiner Firma zu tun, wie auch immer, er konnte meine tausend Mark in Papier in Goldmark umwandeln. Diese wollten wir dann mit ihren, darauf muss ich hinweisen, größeren Ersparnissen zusammenlegen. Das sollte das Startkapital für unser neues Leben sein.«
    Der Polizeibeamte sah müde aus, aber freundlich. Er hob beide Hände vom Tisch und rieb sich die Augen. Er war glatzköpfig, sein Jackett saß schlecht, sein Schnurrbart war stümperhaft gestutzt, er war, kurz gesagt, wenig vertrauenerweckend.
    »Sie sind doch ein intelligenter Mann, Herr Diplomingenieur«, meinte der Polizeibeamte, während er sich immer noch die Augen rieb. »Davon gehe ich zumindest aus, schließlich sind Sie in diesem Abschlussjahrgang die Nummer sieben der zehn weltbesten Ingenieure. Dass Sie gleichzeitig jedoch ein Dummkopf sind, hängt mit Ihrem Alter zusammen. Wie alt sind Sie? Sechsundzwanzig?«
    »Ein Jahr jünger, muss ich gestehen.«
    »Maria Theresia, vielleicht sollten wir uns ja weiter an ihr Pseudonym halten, hat mit geringen Abweichungen diesen Betrug bereits dreimal verübt. Einmal wurde sie dafür verurteilt, zweimal kam sie davon, weil die Geschädigten die Sache nicht weiterverfolgen wollten. Das ist ja gerade das Raffinierte an dieser Art von Straftaten. Denn, Hand aufs Herz, würden Sie in einer solchen Angelegenheit vor dem Dresdner Stadtgericht aussagen wollen? Wir können sie finden, das ist vermutlich nicht das Problem. Alle Huren der besseren Bordelle im Deutschen Reich sind registriert. Wenn Sie die Sache also weiterverfolgen wollen, können wir sie aufspüren. Aber ist das wirklich Ihr Wunsch? Das Geld können Sie in jedem Fall abschreiben, das hat sie irgendeinem Zuhälter gegeben. Also stellen wir das Verfahren mit unmittelbarer Wirkung ein?«
    Oscars Welt brach zusammen. Er konnte weder sprechen noch denken. Als er sich erhob, um dem Polizeibeamten die Hand zum Abschied zu reichen, hatte er so weiche Knie, dass er fast umgefallen wäre.
    Es war, als würde er von einer unsichtbaren Strömung und nicht von seinen eigenen Beinen zur Wache hinausgetragen. Sein Gesichtsfeld verengte sich, vor sich sah er nur noch den Polizeibeamten, der das Schönste, das er je im Leben besessen hatte, in den Dreck getreten hatte. Der Polizeibeamte zündete sich eine Zigarette an und klappte die Akte wieder zu, die unter anderem die Papiere über Maria Theresia alias Judith Kreissler aus Posen enthielt.

    Er saß auf einer Bank am Terrassenufer und starrte in das dunkle Wasser der Elbe. Die nächtliche Kälte auf der Stirn
tat ihm gut, und sein kurzgeschlossenes Gehirn begann wieder zu arbeiten.
    Maria Theresia gab es nicht, es war alles nur ein Traum gewesen. Sofern nicht sein momentaner Zustand ein Albtraum war. Nein, die Realität war allzu greifbar. Das Publikum strömte aus der Semperoper. Man hatte Richard Strauss’ »Feuersnot« gegeben, laut Sverre nicht sehenswert. Die festlich gekleideten Opernbesucher, die an seiner Bank vorbeigingen, lachten und unterhielten sich laut. Sie waren zweifellos wirklich.
    Der Polizeibeamte hatte ihn als Dummkopf bezeichnet. Er musste ihm recht geben. Aber was noch schlimmer war: Er hatte sich selbst etwas vorgemacht. Diese alles übertreffende Liebe hatte es nie gegeben, das Größte und Schönste in seinem Leben war eine Illusion gewesen. Was hatte das Leben noch für einen Sinn?
    Als wäre er plötzlich zu einer Einsicht gelangt, erhob er sich und schlenderte auf die Augustusbrücke, blieb auf dem Brückenscheitel stehen, hielt sich krampfhaft am schmiedeeisernen Geländer fest und starrte in den trägen, schwarzen Strom.
    Es würde schnell gehen. Er war ein miserabler Schwimmer. Sich jetzt von dem Geländer in die Tiefe zu stürzen wäre eine unwiderrufliche und die einzige ehrenhafte Lösung.

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