Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
erwies sich später als unbegründet) ihren Dolch gezückt. Aus Notwehr hatte ihr Vater seine heiß geliebte Spanierin getötet. Eine Katastrophe!
    Im Prozess hatte sich ihr Vater aus Edelmut nicht auf Notwehr berufen. Er brachte es nicht übers Herz, die Eifersucht seiner geliebten Frau bei einer einfachen Gerichtsverhandlung publik zu machen. Folglich hatte man ihn zum Tode verurteilt und garrottiert.
    Im Alter von fünf Jahren wurde Maria Theresia zu einer besonders bösartigen Tante auf das Schloss bei München geschickt. Da die Tante ihr Vormund und Maria Theresia die rechtmäßige Erbin des Schlosses war, hatte die Tante sie unter einem Vorwand in ein Kinderheim gesteckt. Anschließend hatte sie die Hexe von Kinderheimvorsteherin dafür bezahlt, das kleine unschuldige Mädchen an ein Bordell in Leipzig zu verkaufen.
    Maria Theresia hatte längst die Hoffnung aufgegeben, ihren rechtmäßigen Besitz, das Schloss und die Ländereien, zurückzubekommen, wie sie Oscar unter Tränen erzählt hatte. Aber sie hatte nie die Hoffnung auf ein besseres Leben begraben und jede Gelegenheit genutzt, Geld für die Zukunft beiseitezulegen. Sie verwahrte siebentausend Mark in einer Hutschachtel mit doppeltem Boden.
    Er hatte die Hutschachtel mit eigenen Augen gesehen.
    Sie hatte gehofft, obwohl diese Hoffnung im Laufe der Jahre immer mehr verblasst war, dass ein junger, schöner, intelligenter und blonder Mann kommen und sie retten würde. Sie würden in sein Land ziehen, und er würde ihr ihre frühere Leidenszeit verzeihen. Sie würden alles hinter sich lassen und glücklich miteinander werden.
    Oscar hatte sich die erste Begegnung zwischen Maria Theresia und seiner Mutter Maren Kristine mit reger Fantasie ausgemalt. Seine Mutter würde sich nicht vorstellen können, welche Leiden Maria Theresia durchgemacht hatte, weil sie nicht wusste, was ein Bordell war.
    Ein müder Polizeibeamter, ungefähr so unrasiert wie Oscar, erschien und musterte ihn wie einen Schwerverbrecher.
    »Sie sind der Mann mit der verschwundenen Hure?«, fragte er wenig einfühlsam. »Kommen Sie rein und erzählen Sie!«
    Das Büro war ein kleiner Verschlag mit einem Durcheinander an Ermittlungsakten, einem Schreibtisch und zwei Stühlen, deren Lederpolster aufgeplatzt waren. Die Beleuchtung war schwach, nur eine Glühbirne unter einem grünen Lampenschirm auf dem Schreibtisch.
    »Und?«, sagte der Polizeibeamte müde. »Wie heißt sie?«
    »Maria Theresia.«
    »Aus dem Bordell in der Schmaalstraße oder aus dem eleganteren Etablissement bei der Oper? Wie heißt das noch gleich?«
    »Salon Morgenstern.«
    »Ich verstehe. Einen Augenblick.«
    Der Polizeibeamte verschwand im Nebenzimmer, unterhielt sich halblaut und kehrte mit einer Aktenmappe zwischen zwei Lederdeckeln, die von einem schwarzen Bindfaden zusammengehalten wurde, zurück.
    »In Dresden haben wir die Huren ziemlich gut im Griff«, murmelte der Polizeibeamte, während er in den Unterlagen blätterte. »Regelmäßige ärztliche Untersuchungen. Sie
gelten deshalb als die medizinisch ungefährlichsten Huren im gesamten Deutschen Reich. Zwangsweise Behandlung, wenn es etwas Einfacheres ist, Ausweisung bei Syphilis. Sagten Sie Maria Theresia?«
    »Ja.«
    »Ausgezeichnet, hier haben wir sie. Judith Kreissler, geboren achtzehnhundertfünfundsiebzig in Posen, bereits einmal in Hamburg wegen Betrugs verurteilt. Hat eine einjährige Gefängnisstrafe verbüßt. Wurde ein weiteres Mal angezeigt, Verfahren eingestellt, hm. Tja, es sieht so aus, als …«
    »Sie heißt Maria Theresia, und ihre Mutter war Spanierin, daher hat sie auch so schwarze Augen!«, fiel ihm Oscar ins Wort.
    Der Polizeibeamte holte tief Luft und seufzte, wirkte aber nicht im Geringsten verächtlich.
    »Maria Theresia ist natürlich ein sehr schöner Name, der einer Königin gebührt. Entschuldigen Sie, das war nicht ironisch gemeint. Aber das ist nur, wie soll ich sagen, ein Künstlername. Ihre schwarzen Augen haben möglicherweise damit zu tun, dass sie Jüdin ist, denn Spanierin ist sie gewiss nicht. Sie stammt wie gesagt aus Posen.«
    Um Oscar herum blieb die Zeit stehen. Er sah alles, was sie ihm erzählt hatte, so deutlich vor sich, als wäre er selbst dabei gewesen. Spanien, die Orangenhaine, das blaue Mittelmeer, die temperamentvolle, schöne Mutter, die das Haar mit einem Kamm hochgesteckt hatte, der edle, distinguierte Vater.
    Hatte sie ihn belogen? Das konnte nicht sein! Er hatte doch mit eigenen Augen die Hutschachtel gesehen,

Weitere Kostenlose Bücher