Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Dazu einige Radieschen, vermutlich wegen der Farbe. Zu der riesigen Fleischportion wurde ein trockener Riesling aus dem Rheingau kredenzt, eine für Lauritz nicht ganz nachvollziehbare Wahl.
Der Baron bestimmte das Gesprächsthema. Er wollte alles über Lauritz’ Pläne für die Zukunft wissen, der sich genötigt sah, wahrheitsgemäß von den drei armen Jungen von einer Insel vor Bergen zu erzählen, die durch eine Laune des Schicksals Stipendien erhalten hatten, um sich an der renommiertesten technischen Ausbildungsstätte der Welt zu Diplomingenieuren ausbilden zu lassen.
Es war geplant, dass die drei Brüder nach Norwegen zurückkehrten, um am Bau einer der kühnsten Eisenbahnstrecken aller Zeiten mitzuwirken. Allein zu diesem Zweck hätten die Bergener ihre Ausbildung in Dresden bezahlt.
Das bedeutete, dass sie in arktischer Kälte unter primitivsten Verhältnissen leben mussten.
Aber es war eine Ehrensache, eine Schuld, die zurückgezahlt werden musste.
»Ich habe großen Respekt vor Ihrem Ehrgefühl, Herr Diplomingenieur«, meinte der Baron, »aber Sie sind die Nummer eins aller hoch qualifizierten Ingenieure. Ihnen steht eine Welt von Möglichkeiten offen, die bestbezahlten Ingenieursstellen. Ich habe das Terrain etwas sondiert. Schließlich habe ich Kontakte. Sie können wenn auch nicht unbedingt reich, so doch wohlhabend werden, wenn Sie im Deutschen Reich bleiben. Ist Ihnen diese Idee nicht auch schon gekommen?«
»Doch«, gab Lauritz zu. »Und sobald der erste Zug über den Gletscher rollt, was viele Menschen in meiner Heimat für unmöglich halten, ist meine Schuld beglichen. Dann werde ich nach Deutschland zurückkehren.«
»Ich verstehe. Und der Fahrradsport?«
»In einer Welt aus Schnee und Eis werde ich kaum zum Radfahren kommen. Ich habe mein Fahrrad verkauft.«
»Das bedauere ich. Sie hätten noch mindestens fünf gute Jahre vor sich gehabt. Sie stehen ja erst am Anfang Ihrer Wettkampfkarriere.«
Der Baron wirkte mittlerweile etwas düster. Auf ihren Tellern waren nur noch Knochen übrig. Das gepökelte Fleisch hatte sie gezwungen, dem Wein großzügig zuzusprechen.
»Kaffee und Cognac in der Bibliothek!«, kommandierte der Baron plötzlich, und das schwarz gekleidete Personal reagierte, als hätte es einen elektrischen Schlag bekommen. Rege Betriebsamkeit brach aus, während der Gastgeber
Lauritz einen beschützenden Arm um die Schultern legte und ihn von seinem Lieblingsplatz in der Küche wegführte.
Die Bibliothek war zweifellos standesgemäßer. Bis zur Decke waren es fünf Meter. Die Wände waren mit Büchern bedeckt.
»Das Interesse meiner Vorfahren«, erklärte der Baron. »Hier stehen Voltaire und Erstausgaben von Goethe und Schiller und was weiß ich nicht alles. Das Schloss wird, wie Sie sicher wissen, nach meinem Tod in den Besitz meines ältesten Neffen übergehen.«
»Nein, das wusste ich nicht. Wie kommt das?«
Lauritz war so überrascht, dass er die Bedeutung seiner Frage erst erfasste, als es schon zu spät war. Glaubte der Baron etwa, er wolle durch Heirat in den Besitz von Schloss Freital gelangen?
»Doch, so ist es«, erwiderte der Baron, knipste das Ende einer Zigarre ab und reichte sie Lauritz. Ein Bedienter, den Lauritz vorher nicht wahrgenommen hatte, zündete sie ihm sofort an.
»Ingeborg ist meine älteste Tochter und noch unverheiratet«, fuhr der Baron fort, während er seine Zigarre anrauchte. »Ihre beiden jüngeren Schwestern haben wir glücklich unter die Haube gebracht, eine in Greifswald, die andere in Hessen. Aber Ingeborg wird dieses Haus trotzdem nicht erben.«
»Darüber haben wir nie gesprochen, daher meine Unkenntnis«, erwiderte Lauritz.
Er kam sich plötzlich wie ein armer Glücksritter vor, der eine feine Dame aus der Oberklasse verführen wollte.
Der Baron schwieg eine Weile, während er zuschaute, wie der Cognac eingeschenkt wurde.
Sie tranken, rauchten ihre Zigarren und schwiegen.
»Nun denn!«, meinte der Baron. »Dann wären wir bei der großen Frage angelangt, die der Herr Diplomingenieur mir stellen will, dem Grund für diese Begegnung. Bitte schön!«
Lauritz fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Schlag auf den Kopf versetzt. Alle Formulierungen, die er sich sorgsam zurechtgelegt hatte, waren wie weggeblasen. Der Baron paffte seine Zigarre und sah ihn amüsiert an, als sei alles nur ein böser Scherz.
»Ingeborg und ich, wir lieben uns«, begann Lauritz mit trockenem Mund. Er trank rasch einen Schluck Cognac und fuhr dann
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