Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
die Reden und der Champagner waren im Vergleich dazu unspektakulär gewesen, mit Ausnahme vielleicht ihrer Schwiegermutter Maren Kristine und der Cousinen in ihren exotischen Trachten. Lauritz’ Mutter war eine echte Schönheit. Und würdevoll wie eine Königin, was nur schwer mit ihrem einfachen Hintergrund in Einklang zu bringen war.
Zum ersten Mal hatten sie sich im Frühjahr 1900 auf dem Speicher von Christas Sommerresidenz geliebt.
1907 hatte ihr Vater nach Lauritz’ zweitem Sieg bei der Kieler Woche kapituliert.
Heute, am 7. Juli 1913, würde beim Abendessen in der Allégatan in Bergen ein weiterer Höhepunkt verkündet werden.
Die drei Höhepunkte ihres Lebens.
Die Kinder waren eine ganz andere Sache. Harald war jetzt drei Jahre alt und Johanne zwei.
Sie waren mehr oder minder eine zwangsläufige Folge der Kapitulation ihres Vaters gewesen. In jenem Moment stand für sie und Lauritz fest, dass es Harald und Johanne eines Tages geben würde.
Der Zug fuhr in Haugastøl ein. Der Gedanke daran, wie viele Stunden Lauritz für diese kurze Strecke auf seinen Skiern hatte kämpfen müssen, war schon verrückt. Jetzt war die Bahn so selbstverständlich, als hätte es sie immer schon gegeben, weil es hier einfach eine Zugverbindung geben musste. Wie hätte man sonst nach Kristiania gelangen sollen?
Sie war davon ausgegangen, dass es in Bergen, der zweitgrößten Stadt Norwegens, die mehr als neunhundert Jahre alt war und wie Kiel und Hamburg der Hanse angehört hatte, eine Universität geben würde.
Bergen hatte aber keine Universität! Zuerst hatte sie ihren Ohren nicht getraut. Und dann die Konsequenzen gezogen. Keine Universität und noch viel weniger eine medizinische Fakultät, also kein Medizinstudium. Die nächste Universität lag in Kristiania.
Ein deutscher Ehemann hätte, so stellte sie es sich vor, in dieser Lage praktische Argumente angeführt. Zu weit weg, unmöglich für eine junge, verheiratete, anständige Frau,
allein so oft mit dem Zug zu reisen, zu teuer, jedes Mal eine Anstandsdame zu organisieren. Keine Unterkunft in Kristiania. Ganz zu schweigen von dem Ärger, bis sie überhaupt erst von der medizinischen Fakultät in Kristiania angenommen wurde. Unüberwindliche praktische Schwierigkeiten, wie ein verständnisvoller Ehemann ihr ruhig, klug und rational erklären könnte.
Das war aber nicht Lauritz’ Art. Deswegen liebte sie ihn vielleicht immer noch leidenschaftlich und nicht nur mit dem beruhigenden Gefühl, einen Lebenspartner gefunden zu haben, den richtigen Mann, mit dem sich das tägliche Leben organisieren ließ. Die Damen der feineren Bergener Gesellschaft, die sie recht rasch kennengelernt hatte, hatten erstaunlich offenherzig über solche Dinge gesprochen. Ob das etwas speziell Norwegisches war und sich von den deutschen Sitten unterschied, konnte sie nicht wissen, da sie in Deutschland nie als verheiratete Frau Umgang mit anderen verheirateten Frauen gepflegt hatte. Fast alle waren sich einig gewesen, dass Leidenschaft ein zwar notwendiges, aber trotzdem nur ein erstes Stadium der Ehe war. Nach dem ersten Kind, wenn das Interesse an der Sexualität erlosch, glitt man sachte in das nächste Stadium hinüber, offenbar eine ganz natürliche Entwicklung. Es nützte nichts, von einer neuen Leidenschaft zu träumen, abgesehen von dem Skandal, den diese verursachen würde, würde es sich doch genauso wiederholen.
Das hatte sich aus ihren Mündern fast wie ein Naturgesetz angehört.
Mit Lauritz war es anders. Als sie von ihrem innigen Wunsch gesprochen hatte, Ärztin zu werden, hatte er zu Papier und Stift gegriffen und die Probleme aufgelistet,
alle eventuellen Komplikationen aufgezeigt, fast wie mit einem Rechenschieber.
Sie erinnerte sich noch überdeutlich an diesen Moment, aber erst jetzt, viele Jahre später, sah sie ein, dass dies vielleicht ein entscheidender Augenblick für sie beide gewesen war.
Lauritz hatte den Berg der sich auftürmenden Schwierigkeiten in verschiedene Kategorien eingeteilt, dann hatte er sich zusammen mit ihr systematisch, als sei er immer noch zwischen Brücken und Tunneln auf der Hardangervidda, der Aufgabe angenommen, diesen Berg zu sprengen.
Als Allererstes benötigte sie eine Wohnung in Kristiania. Die Firma hatte gerade im Zentrum, in der Rosenkrantz Gate, ein Gebäude für eine Filiale gekauft. Dort wollte er ihr eine Wohnung in passender Größe einrichten lassen.
Damit war das erste Problem gelöst.
Weiterhin musste sie besser
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