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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Norwegisch lernen, um an einer Universität studieren zu können. Lauritz organisierte täglich vier Unterrichtsstunden mit einem Privatlehrer.
    Damit war auch dieses Problem gelöst.
    Als Drittes waren Intrigen und politische Einflussnahme nötig, damit eine Frau die Zulassung zur medizinischen Fakultät erhielt.
    Dieses Problem ließ sich nicht so ohne Weiteres lösen, erwies sich aber in Kristiania als nicht so schwer lösbar, wie es das in Dresden gewesen wäre, da bereits 1893 die erste Frau das Arztexamen abgelegt hatte. Marie Spångberg war inzwischen eine gute Freundin und Mentorin Ingeborgs.
    Es stellte sich weiter die Frage, in welchem Grad Ingeborg
für ein Universitätsstudium in Norwegen qualifiziert war. Sie besaß Examina der Universität Dresden in den Fächern Pädagogik, Französisch und Englisch. Außerdem hatte sie einen Abschluss der Dresdner Krankenpflegeschule.
    Dem ungeübten, weiblichen Auge mochten diese Qualifikationen als ausreichend erscheinen, aber nicht der männlichen Obrigkeit an der medizinischen Fakultät in Kristiania. Die erste Abstimmung der Fakultätsleitung fiel neun zu sieben gegen Ingeborg aus.
    Daraufhin begab sich Lauritz, nachdem er auf der Bank eine nicht unbedeutende Summe Bargelds abgehoben hatte, überraschend geschäftlich nach Kristiania. Er behauptete, es seien noch einige wichtige Fragen hinsichtlich der neuen Filiale in der Hauptstadt zu klären. Zufällig traf er dann auch unter angenehmen Umständen einige Mitglieder der medizinischen Fakultät. Als über den Antrag ein zweites Mal abgestimmt wurde, fiel die Abstimmung zehn zu sechs aus. Zu Ingeborgs Gunsten.
    Damit war auch dieses Problem gelöst.
    Die Sprache stellte ein bedeutend kleineres Hindernis dar als erwartet. Wenig überraschend waren die medizinischen Standardwerke nicht in norwegischer Sprache verfasst, sondern auf Deutsch, einige auch auf Englisch. Dass Ingeborg Deutsch sprach, war für sie in diesem Fall also sogar ein Vorteil.
    Der Schaffner klopfte ans Fenster, sah sie an und öffnete die Tür des Erste-Klasse-Abteils. Sie kannten sich gut.
    »Ich wollte nur mitteilen, dass der Anschlusszug aus Voss Verspätung hat. Wir stehen also mindestens achtzehn Minuten in Finse«, sagte er.
    »Wunderbar, Jon«, antwortete Ingeborg. »Wenn Sie dann so nett wären, den Lokführer zu bitten, einige Minuten vor Abfahrt die Dampfpfeife zu betätigen?«
    »Selbstverständlich, Frau Lauritzen«, antwortete er mit einer Verbeugung und schloss behutsam die Abteiltür.
    Wenn sie sich vorbeugte, konnte sie bereits den Finsevand sehen. Sie hoffte inständig, dass ihre gute Freundin Alice hinausschaute, wenn der Samstagszug aus Kristiania eintraf, insbesondere jetzt, wo sie achtzehn Minuten Zeit füreinander hatten.
    Alice Klem hielt in der Tat vom Eingang des Hotels aus, das nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt war, nach ihr Ausschau, als der Zug ächzend und schnaufend in den Finser Bahnhof einfuhr und schließlich zum Stehen kam.
    Ingeborg stand schon an der Tür des Erste-Klasse-Waggons und sprang auf den Bahnsteig, noch ehe der Zug ganz zum Stillstand gekommen war. Die beiden Freundinnen eilten aufeinander zu. Ingeborg lief leichtfüßig, wobei sie ihren Rock mit einer Hand hochhalten musste, um nicht zu stolpern, die andere Hand am Hut, damit dieser nicht davongeweht wurde.
    »Du scheinst ja heute strahlender Laune zu sein, meine Liebe!«, meinte Alice Klem, als sie sich die Wangen küssten.
    Ingeborg trat gespielt beleidigt einen Schritt zurück und musterte Alice Klem, die Hotelbesitzerin, streng von oben bis unten.
    »My dear Lady Alice!«, sagte sie und gab sich Mühe, einen englischen Upper-Class-Akzent zu imitieren, was sicher alle außer Alice Klem überzeugt hätte. »Would you be
so kind as to from now on address me Doctor Lauritzen, if you don’t mind!«
    »My God, Ingeborg, you bloody did it!«
    Sie umarmten einander lachend.
    »Wirklich Untschuldigung, meine gnädige Freiherrin und Frau Doktor«, lachte Alice. »How was that German, you think?«
    »Recht gut, nur ein kleiner Fehler.«
    »Wir sollten ein Glas Champagner trinken. Komm! Was hat Lauritz dazu gesagt?«
    »Er weiß es noch nicht, und ich habe es auch erst heute Morgen erfahren. Du bist die Erste, der ich es erzähle!«
    Sie hatten den größten Teil der Flasche ausgetrunken, als die Dampfpfeife vom Bahnsteig ertönte. Sie nahmen Abschied und versprachen einander ein baldiges Wiedersehen.
    Bei Alice in Finse war Hochsaison, weshalb sie

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