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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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keine Möglichkeit hatte, zu dem großen Ereignis am Sognefjord zu kommen. Ingeborg beugte sich lange aus dem Fenster und winkte mit ihrem blauen Halstuch.
    Und schon verschwand sie im Torbjørnstunnel, über den es unzählige Geschichten gab. Von jahrelanger harter Arbeit, teilweise lebensgefährlich.
    Und schon befand sie sich wieder im Tageslicht, als wäre weiter nichts dabei gewesen, diesen Tunnel zu bauen.
    Jetzt blieben nur noch zwei Orte, an denen sie aus Solidarität mit Lauritz und seinen Arbeitskollegen besonders aufmerksam sein musste. Zuerst am Hallingskeider Bahnhof, weil er dort recht lange gewohnt hatte.
    Sie sann wieder über die Frage nach, die sie schon jahrelang beschäftigte und die sie ihm zu guter Letzt in einer
schwachen Stunde gestellt hatte, als ihre Neugier stärker als ihr Urteilsvermögen war.
    Eine unvermeidliche Konsequenz seiner vorbehaltlosen Unterstützung ihrer Pläne, die die meisten Herren in Bergen nicht einmal in Erwägung gezogen hätten, war gewesen, dass sie den größten Teil der letzten Jahre nicht in ihrem Zuhause verbracht hatte.
    War er nie eifersüchtig?
    Zwischendurch beleidigte es sie fast ein wenig, dass er keine Anzeichen dieses normalen männlichen Verhaltens an den Tag legte. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie die Männer in ihrer Umgebung nicht unbeeindruckt ließ. Selbst in Norwegen, wo ihr gesellschaftlicher Rang keine so große Rolle spielte und sie keine gute Partie wie bei den Regatten in Kiel darstellte. Als Frau Lauritzen war sie niemand. Trotzdem begehrten die Männer sie, und das kam einem wissenschaftlichen Faktum so nahe, wie man diesem nur kommen konnte. Das konnte Lauritz nicht verborgen geblieben sein. Aber ohne zu zögern, hatte er ihr vier Tage in der Woche ihre Freiheit in einer eigenen Wohnung in Kristiania jenseits der Hardangervidda gelassen.
    Warum war er nicht eifersüchtig? Liebte er sie nicht mehr?
    Sie würde sich bis in alle Ewigkeit Vorwürfe dafür machen, dass sie ihm die Frage gestellt hatte. Sie hatte an diesem Tage zu viel getrunken.
    »Ich bin wahnsinnig eifersüchtig«, hatte er knapp und spontan und ohne nachzudenken geantwortet. Er war genauso überrascht über ihre Frage gewesen wie sie darüber, sie gestellt zu haben. »Aber … nein, ich muss erst eine Weile nachdenken und meine Gedanken ordnen.«
    Es war ein lauer Augustabend gewesen. Sie saßen im Garten hinter dem Haus in der Fliederlaube. Der Flieder war schon lange verblüht. Es war einer der Samstage, an denen sie aus Kristiania zurückgekehrt war, alles war wie immer gewesen. Die Schwestern Tøllnes von Osterøya hatten die Kinder angekleidet und gekämmt, und man hatte mit ihnen gespielt. Lauritz hatte im Kies gekniet und das Pfeifen einer Dampflokomotive nachgeahmt. Dann hatten sie den Abend in Zweisamkeit genossen, während es langsam immer dunkler geworden und der Mond aufgegangen war. Eine Weile hatten sie darüber nachgedacht, welche Rosen sie pflanzen sollten. Dann hatte sie die fürchterliche Frage gestellt.
    »In meinen schlimmsten Albträumen«, hatte er nach langem Schweigen gesagt, »bist du … nein, ich schäme mich meiner Albträume. Wie diszipliniert du dein Ziel, Ärztin zu werden, verfolgst und dafür unendliche Reisen über die Hardangervidda in Kauf nimmst, nachdem du in einer Stadt ohne Universität gestrandet bist, dafür bewundere ich dich maßlos. Ich bin ein glücklicher Mann, denn ich bewundere meine Ehefrau aufrichtig. Meine Freunde betrachten ihre Frauen ein wenig wie Kinder. Ich nicht. Was ich auf der Hardangervidda vollbracht habe, vollbringst jetzt du. Das hat alles einen tieferen Sinn, da bin ich mir sicher. Dass wir hier zusammensitzen, ist ein Wunder. Das muss auch einen Sinn haben.«
    »Ja, Geliebter, so ist es natürlich. Verzeih mir, dass ich diese Frage überhaupt angeschnitten habe.«
    So hatte sie damals geantwortet und aufrichtig daran geglaubt.
    Und glaubte es immer noch, gefühlsmäßig. In dieser
Hinsicht war sie »kleinbürgerlich beschränkt«. Zumindest nach allen modernen Theorien, dass kein Mensch einen anderen besaß und dass die Liebe frei und unbeständig war.
    Aber auch diese »reaktionäre« Einstellung war ihr im Augenblick vollkommen gleichgültig.
    Sie wusste genau, wann der Zug die Kleivebrücke erreichen würde. Einen Moment lang betrachtete sie die traumhafte Aussicht, als der Zug über die Brücke raste, die Lauritz gebaut hatte. Das tat sie nicht nur aus Solidarität, sie fand sie jedes Mal

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