Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Warteraum, der von Männern überfüllt war, die sich freiwillig melden wollten. Generalgouverneur Schnee hatte eine Erklärung veröffentlicht. »Von uns wird erwartet, dass wir Deutsch-Ostafrika, das Land, das man uns anvertraut hat, mit unserem Leben verteidigen.« Es hatte den Anschein, dass alle Männer, die nicht lahm, gebrechlich oder sehr alt waren, diesem Aufruf Folge leisteten. Merkwürdigerweise herrschte eine fast ausgelassene
Stimmung, als sei Krieg etwas, worauf alle nur gewartet hatten.
Im Warteraum kursierten unzählige Gerüchte. Der Kreuzer Königsberg habe nördlich von Sansibar einen englischen Frachter aufgebracht, die City of Winchester , und sei so in den Besitz von Kohle und erstklassigem Proviant gekommen. Den ersten Sieg zur See hatte also Deutschland errungen, was den hochnäsigen Offizieren der englischen Marine sicherlich zu denken gab.
Jetzt war trotzdem Eile geboten, alle Truppen aus Dar abzuziehen. Oscar fand das unbegreiflich. Die Erklärungen, die er aufschnappte, halfen ihm nicht sonderlich weiter. Dann aber erklärte Generalgouverneur Schnee, Dar sei ein »offener Hafen«, was laut internationalem Abkommen bedeutete, dass der Hafen »neutral« war und daher nicht angegriffen werden durfte. Unter der Bedingung, dass sich keine deutschen Truppen in der Stadt befanden.
Ein Mann nach dem anderen wurde zu Major Kempner vorgelassen. Als sie das Büro verließen, schwenkten sie fröhlich ihre Papiere und begaben sich zum Bahnhof. Vom Hof war eine Gewehrsalve zu hören. Oscar fürchtete schon, dass ein Hinrichtungskommando seine Arbeit aufgenommen hatte. Er kam sich vollkommen machtlos vor. Falls er jetzt aus Verzweiflung an der Schlange vorbei in das Büro eilte, würde sein offenbarer Mangel an Disziplin seine Chancen, etwas für Mohamadali zu erwirken, nur verschlechtern. Die Frage der Ordnung war nach der deutschen Logik wichtiger als die Entscheidung, ob Mohamadali am Leben bleiben durfte. Eine neue Gewehrsalve war vom Hof zu hören.
Es dauerte über eine Stunde, bis er an die Reihe kam. Ein
Leutnant mit starren Handbewegungen wies ihn ins Büro und deutete auf einen Stuhl vor dem Major, der vornübergebeugt an seinem Schreibtisch saß und sich Notizen machte. Oscar wartete eine Weile in der Stille, die nur vom Quietschen des Deckenventilators gestört wurde.
»Ach! Herr Oberingenieur Lauritzen. Es freut mich, Sie hier zu sehen«, begrüßte ihn der Major, als er von seinen Papieren aufschaute, die er mit einem Löschpapier traktierte.
»Ich bin leider aus einem ganz anderen Grund hier, als Sie wahrscheinlich vermuten, Herr Major. Leider ist diese Angelegenheit von größter Wichtigkeit, schlimmstenfalls geht es um Leben und Tod«, erwiderte Oscar so gefasst wie möglich.
Der Major sah erst betrübt aus, dann zog er demonstrativ eine Augenbraue hoch.
»Leben und Tod, was Sie nicht sagen, Herr Oberingenieur. Wir befinden uns bekanntlich im Krieg mit Russland, Frankreich, England und Belgien, und da geht es zweifellos um Leben und Tod. Aber Ihr Anliegen ist also offenbar ganz anderer Art?«
»Allerdings, Herr Major, aber nichtsdestoweniger äußerst dringlich.«
»Lassen Sie hören, aber fassen Sie sich kurz!«
Oscar sammelte sich, holte tief Luft und brachte sein Anliegen vor.
»Einer meiner Freunde und außerdem mein Geschäftspartner, Mohamadali Karimjee Jiwanjee, ist offenbar als Feind interniert worden. Das ist ein Fehler. Unsere Geschäfte gedeihen schon lange. Wir besitzen Plantagen in der Nähe von Dar, in Bagamoyo und in Tanga, für Sisal,
Kokos und Gummi. Wir haben wesentlich zum Wohlstand des Landes beigetragen, und das werden wir natürlich auch weiterhin tun, wenn dieser Krieg erst einmal gewonnen ist. Ich habe mir sagen lassen, dass es nicht allzu lange dauern wird. Es wäre unpassend, eine Stütze des Gemeinwesens in dieser Zeit als Feind zu internieren. Ich bitte Sie daher, meinen Freund und Kompagnon freizulassen. Ich übernehme persönlich die Verantwortung für seine Loyalität der Gesellschaft gegenüber.«
Jedenfalls habe ich mich kurz und knapp ausgedrückt, dachte Oscar, als er die reglose Miene des Majors betrachtete und sich überlegte, wie sein Gesuch wohl aufgenommen wurde.
Die Miene des Majors verriet nichts. Er öffnete eine Schreibtischschublade, holte ein paar Akten heraus und blätterte darin.
»Stimmt!«, stellte er dann fest. »Der Sansibarer Mohamadali und so weiter, Kategorie unzuverlässiges Element, wurde bis auf Weiteres interniert.
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