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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Dort draußen arbeiteten Menschen im Schweiße ihres Angesichts, um andere Menschen zu töten, die sie nicht kannten und die ihnen nichts getan hatten.
    Als die beiden englischen Kreuzer ihr Tagewerk verrichtet hatten, drehten sie Richtung Meer ab und dampften ohne Eile Richtung Horizont davon. Erst jetzt ließ Oscars Lähmung nach. In der Stadt gab es sicher jede Menge zu tun. Er schämte sich, dass ihm das nicht eher eingefallen war, und trieb seine Pferde an, die scheuten, weil ihnen der Rauch, das Dröhnen der Feuer und die schreienden Menschen nicht geheuer waren. Die größten Flammen stiegen aus dem Hafen auf. Er versuchte zu galoppieren, aber das Pferd, das er am Zügel führte, gehorchte nicht. Beinahe hätte er ein paar Männer von der freiwilligen Feuerwehr umgeritten, die mit Schläuchen und Pumpen in dieselbe Richtung wie er unterwegs waren.
    Sein Haus war in Trümmer zerschossen und brannte lichterloh. Die Flammen stiegen zwanzig Meter und mehr in den hellen Morgenhimmel. Wegen der Hitze konnte man sich dem Feuer nur auf fünfzig Meter nähern. Alle Löschversuche waren sinnlos. Die Feuerwehrleute machten
rasch wieder kehrt und eilten zu anderen Bränden, bei denen vielleicht noch etwas zu retten war. Das große weiße Haus, die schöne Landmarke, die schon von Weitem zu sehen gewesen war, wenn man sich Dar mit dem Schiff näherte, war rettungslos verloren. Ein paar Männer und Frauen standen wie gelähmt und hypnotisiert da, während das Feuer ohne Erbarmen alles verschlang.
    Oscar rannte an der Reihe der Schaulustigen vorbei und fragte nach Hassan Heinrich und seiner Familie, aber alle schüttelten nur verwirrt den Kopf. Es gab nirgendwo Verletzte, niemand war dem Feuer entkommen. Die verdammten Engländer hatten die ganze Familie ermordet.
    In den nächsten Stunden geschah etwas in Oscars Kopf, das er später nicht erklären konnte. Teile der Wirklichkeit verschwanden.
    Er saß in einigem Abstand von der rauchenden Ruine seines Hauses allein am Strand, als er wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, wie er dorthin gekommen oder wo er vorher gewesen war. Anscheinend hatte er die Pferde, die Satteltaschen und die übrige Ausrüstung im Stall zurückgegeben. So jedenfalls reimte er es sich zusammen. Auf seinen Knien lag sein Mausergewehr im Futteral. Offenbar war er mit dem Gewehr über der Schulter an den Strand gegangen, aber er konnte sich nicht daran erinnern.
    Jemand hatte ihm erzählt, dass die englische Artillerie zwei Typen von Granaten verwendete, solche, die sprengten, und andere, die Brände verursachten. Wer ihm das gesagt hatte und wann, wusste er nicht mehr. Man war dabei, die Ruine seines Hauses zu löschen, vermutlich schon seit Stunden, aber erst jetzt wurde er sich dessen bewusst.
    Hassan Heinrich hatte fünf Kinder gehabt. In der verkohlten, wassergetränkten Brandruine fand man ganz richtig fünf bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Kinderleichen mit angezogenen Beinen sowie die Leichen zweier Erwachsener. Sieben Personen, das stimmte.
    Hätten die Engländer nur einige Stunden später angegriffen, wären alle Bewohner des Hauses bereits auf den Beinen gewesen und ihren Beschäftigungen nachgegangen, drei der Kinder auf dem Weg zur Schule, und die im Haus Verbliebenen wären wenigstens wach und angekleidet gewesen. Da hätten sie nach dem Einschlagen der ersten Granate noch eine Fluchtchance gehabt. So aber waren sie von dem feigen Angriff der englischen Mörder im Schlaf überrascht worden.
    Die trauernde Verwandtschaft Hassan Heinrichs, seine Eltern, seine Cousins und Cousinen und etliche Onkel, bargen die verkohlten Leichen und legten sie auf Palmblätter. Oscars Gedanken waren nicht mehr gelähmt. Er konnte sehen und hören, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, mitzuhelfen. Eine ältere Frau stürzte auf ihn zu und beschimpfte ihn, dass alles seine Schuld wäre. Hassan Heinrichs Vater nahm sie in den Arm und führte sie schweigend weg.
    Eine Stunde lang blieb er reglos sitzen. Langsam verstummte der Lärm der Löscharbeiten in der Stadt. Eine Karre mit sieben aufeinandergestapelten Särgen kam aus dem Eingeborenenviertel im Norden der Stadt. Vor Oscars Augen flimmerten Bilder von Hassan Heinrich vorbei, von seiner scheuen Frau Madima und den drei ältesten Kindern, die die Schule besuchten und bereits etwas Deutsch sprachen. Wie glücklich sie gewesen waren, in so einem
prächtigen Haus zu wohnen, das noch dazu für alle Zeit ihnen

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